Kanzel und Fürst im Zentrum
Ein Kirchenraum kann die konfessionelle Entwicklung spiegeln. In Anhalt ist die Schlosskirche in Bernburg ein Beispiel dafür.
Von Sven Baier
Wer sich die alte Aegidienkirche vorstellen will, muss viel Fantasie mitbringen. Und tief hinabsteigen. Von außen ist das wahre Alter des Bauwerkes nur an den Mauern von Chor, Apsis und Vierungsturm zu erahnen. Im Inneren im Untergrund: eine schlichte romanische Stollenkrypta, die auf die Position des alten, katholischen Altars schließen lässt. Für die tatsächliche Gestalt der Kirche bis 1752 gibt es praktisch keine Information, jedoch lassen sich aus der späteren Gestaltung und den Prinzipien reformierten Kirchenbaus begründete Vermutungen ableiten.
Um 1500 hatte die Bernburger Bergstadt vielleicht nur 200 bis 400 Einwohner. Ganz Bernburg womöglich nicht mehr als 1 000. Die Veränderungen in Folge der Reformation setzten nur langsam ein: Nebenaltäre verschwanden, die deutsche Sprache zog ein, die Predigt wurde zur Mitte des Gottesdienstes. Das Abendmahl wurde seltener gefeiert. Es blieben der Hauptaltar, Bilder, Gewänder und sogar Weihrauch.
Erst mit der sogenannten »Zweiten Reformation« durch Fürst Christian I. veränderten sich die gottesdienstliche Praxis und der Kirchenraum tiefgreifend. Für die Marienkirche in der Talstadt ist der Abbruch des Hauptaltars für den 13. Dezember 1596 überliefert. Altäre wurden durch schlichte Tische ersetzt, an denen die Gläubigen nun das Abendmahl in neuer, reformierter Form nahmen: als Gedächtnismahl mit Wein und Weißbrot.
Die schon immer spärliche Ausstattung der Aegidienkirche kam den Grundsätzen reformierten Kirchenbaus entgegen. In »der Mitte der Kirche«, und nicht mehr im Chor, sollte gepredigt, gelesen und das Abendmahl ausgeteilt werden. Sehr wahrscheinlich baute man eine Kanzel zwischen Kirchenschiff und Vierung ein, sodass die Hofgemeinde sich in den »Armen« des Haupt- und Querschiffes um den Prediger versammelte. Die alte Krypta diente als Fürstengruft, wobei die fürstlichen Sarkophage den Platz einnahmen, der vormals den Heiligen beziehungsweise deren Reliquien vorbehalten war. Dies ist geistesgeschichtlich mindestens ebenso bemerkenswert wie die prachtvolle Gestaltung der Sarkophage angesichts des reformierten Bilderverbots.
1750 klagte Fürst Victor Friedrich in den einleitenden Worten zu seiner Kirchenordnung, dass »viele Gewohnheiten und andere Gebräuche, so zum Theil unserer Religion zuwider, aus dem Alterthume beybehalten worden« seien. Abgesehen von den Hauptkirchen scheint man also in Anhalt–Bernburg geduldig gewesen zu sein.
Der Fürst ließ die Schlosskirche in den Jahren 1751/52 vergrößern, weil ein »starkes Anwachsen der christlichen Gemeinde allhier vor dem Berge« verzeichnet wurde. Ein Foto aus dem 19. Jahrhundert zeigt, dass der Innenraum bis unter die Decke mit Emporen verbaut war. Die Kanzel befand sich an der Nordseite der Kirche. Als Folge des Umbaus entstand eine »Querkirche« als mögliche Form einer reformierten Zentralkirche. Die fürstliche Familie saß während der Gottesdienste leicht über der Kanzelhöhe. Ein überliefertes Stuhlregister zählt 666 Sitzplätze, die streng nach der jeweiligen gesellschaftlichen Position vergeben waren. Frauen und Kinder saßen, mit Ausnahme der fürstlichen Familie, im »Parkett«.
Nach der Bernburger Union von 1820 zwischen Reformierten und Lutheranern (die trotz der obrigkeitlichen Hoheit über die Landesreligion immer geduldet worden waren) war die Aufstellung eines einfachen (!) Kreuzes zwischen zwei Lichtern auf dem Altartisch wieder erlaubt, allerdings nur beim Abendmahl! Bei einer Synode 1842 stimmten die Pfarrer dafür, die Altäre auch in der Woche zu schmücken. 1859 wurde angeordnet, dass Kreuz und Kerzen auf dem Altar eine bestimmte Richtung haben sollen: die Vorderseite des Kruzifixes (!) muss der Gemeinde zugekehrt sein. Auf dem Foto zeigt sie nach Westen, was bestätigt, dass östlich des Altars schon niemand mehr saß, da der Fürst seit Langem in Ballenstedt residierte.
1861 war die Bevölkerung der Bernburger Bergstadt auf etwa 6 000 Einwohner gestiegen. St. Aegidien war nicht mehr Hofkirche. Sie wurde nach den Grundsätzen des Eisenacher Regulativs (1861) von 1888 bis 1890 »nach alter Sitte orientiert« – mit dem Altar im Osten. Der Fürstenstuhl und ein Großteil der Emporen verschwanden. In den Vierungsbogen kam eine Apsis, die den neogotischen Hochaltar aufnahm. Das »Luthertum« hatte sich (zumindest in den kirchlichen Bräuchen) wieder durchgesetzt.
Nach den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts wird auch heute wieder nach »Tradition« gefragt, um das Eigene, das unverwechselbar Christliche zu bewahren. Farbe und Form sind wieder erlaubt. »Prüft alles und das Gute behaltet«, rät der Apostel. Ob dies in der Bernburger Schlosskirche mit der künstlerischen Neugestaltung durch Moritz Götze gelungen ist, werden andere Generationen beurteilen.
Der Autor ist Pfarrer der Bernburger Schlosskirchengemeinde.
Autor:Online-Redaktion |
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