DDR-Besonderheiten bei Forum-Studie
Stasi-Akten widerlegen Fehldeutungen
Spielt es eine Rolle, ob kirchlicher Kindesmissbrauch in einer Diktatur oder einer Demokratie geschieht? Ging die evangelische Kirche in der DDR anders mit solchen Fällen um, als in der BRD? Und welche Relevanz spielte das jeweilige Staats-Kirchen-Verhältnis?
Von Karin Wollschläger
Diesen Fragen geht ein Teilprojekt der Missbrauchsstudie für die evangelische Kirche nach. Es analysiert den Einfluss der unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Umstände auf Entstehung und Umgang mit sexualisierter Gewalt.
Während im volkskirchlich geprägten Westen die Kirchen ein anerkannter und relevanter Player waren, waren sie im Osten in der Minderheit und den Druckmitteln des anti-kirchlichen SED-Regimes ausgesetzt. Wie die Studie zeigt, beeinflusste der politische Rahmen der Diktatur mit ihrem Stasi-Apparat und allen Repressalien die Ausübung von sexueller Gewalt und den Umgang damit – ohne sie aber ganz grundsätzlich zu prägen.
Neben den zur Verfügung gestellten Akten der Landeskirchen sichtete und analysierte die Forschergruppe auch zahlreiche Stasi-Unterlagen. Dabei stellte sie fest, dass manche, teils bis heute gängigen Deutungen schlicht falsch seien. Die Stasi und ihre vermeintlich allumfassende Überwachung habe sexualisierte Gewalt weder unmöglich gemacht, noch eingedämmt.
Im Gegenteil: Pfarrer, die auch als Spitzel tätig waren und während dieser Zeit Minderjährige missbrauchten, wurden teils sogar vom Ministerium für Staatssicherheit geschützt. Aus den Akten rekonstruierten die Forscher Fälle, in denen vermeintliche Täter unter staatlicher Mitwirkung versetzt wurden, damit sie weiter als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) Informationen liefern konnten.
Vieles ist der Stasi aber auch verborgen geblieben. So konnten die Forscher nicht feststellen, dass es eine systematische Erfassung von Missbrauch in der Kirche durch das SED-Regime gab, und der Umgang mit bekannten Fällen sei ambivalent gewesen.
Ebenfalls eine Absage erteilten die Forscher der These von der "doppelten Tabuisierung" – dass über Missbrauch nicht nur allgemein, sondern auch wegen der Stasi-Überwachung und der Repressionen nicht gesprochen werden konnte. In den verschiedenen Quellen sei teils sehr deutlich von sexualisierter Gewalt die Rede gewesen, ohne dass es als Tabuthema markiert wurde. Die Forscher vermuten, dass die Tabuisierungsthese eine Schutzbehauptung sei, die auf dem positiven Bild der evangelischen Kirche als Hort der Opposition und Motor der Friedlichen Revolution basiere.
Zugleich lassen sich Parallelen der Taten zwischen beiden deutschen Staaten erkennen: die Anbahnungsstrategien, die Beziehung zwischen Täter und Opfer, die theologisch-religiöse Begründung und die besondere Bedeutung der Jugendarbeit als Tatumfeld.
(kna)
Autor:Online-Redaktion |
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