Bericht des Friedensbeauftragten
Vielstimmigkeit in Friedensfrage aushalten
Die evangelische Kirche berät in Magdeburg über ihre Haltung zu Krieg und Frieden. Der Ukraine-Krieg hat eine Debatte ausgelöst, vor allem über die deutschen Waffenlieferungen. Nun sollen die Positionen harmonisiert werden.
Von Franziska Hein
Magdeburg (epd). «Verleih uns Frieden gnädiglich» - dieser Friedensruf, den einst der Reformator Martin Luther (1483-1546) verfasste, ist in diesen Tagen in Magdeburg bei der Jahrestagung des evangelischen Kirchenparlaments aller Orten zu hören. Er ist Ausdruck einer Sehnsucht, die angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine nicht nur innerhalb der Kirchen Aktualität erlangt.
Magdeburg steht selbst für eine Geschichte, die geprägt ist von Verlust und Zerstörung. Daran erinnerte am Montag der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Magdeburger Landesbischof Friedrich Kramer. Der Begriff «Magdeburgisieren» sei nach der Zerstörung und grausamen Auslöschung von fast zwei Dritteln der Stadtbevölkerung im Jahr 1631 während des 30-jährigen Kriegs als Synonym für «völlig zerstören» in die deutsche Sprache eingegangen. Heute könnten die ukrainischen Städte Butscha oder Saporischschja an dieser Stelle stehen.
Der russische Angriff am 24. Februar hat eine innerkirchliche Debatte über Friedensethik anstoßen. Viele fragen sich, ob die Friedensdenkschrift von 2007 noch zeitgemäß ist. Auf der einen Seite steht der Friedensbeauftragte Kramer. Der mitteleutsche Bischof bekräftigt am Montag seine Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine. Er trete dafür ein, dass die evangelische Kirche ihren Einsatz für Frieden und Gewaltlosigkeit gerade jetzt fortführe.
Auf der anderen Seite stehen etwa die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, die Waffenlieferungen für legitim hält, zugleich aber auch Bemühungen um diplomatische Lösungen und Gespräche fordert.
Nach dem Willen von Kramer soll die Vielstimmigkeit der protestantischen Positionen zur Friedensethik harmonisiert werden. Dazu schlägt er eine «Friedenswerkstatt» vor, die mithilfe eines mehrstufigen Verständigungsprozesses über eine Neuausrichtung der Friedensdenkschrift von 2007 entscheiden soll. Die Denkschrift betont unter dem Leitbegriff des «gerechten Friedens», dass zur Wahrung und Wiederherstellung des Rechts unter Umständen auch militärische Gewalt gerechtfertigt ist.
Ein erster Grundlagentext der geplanten «Friedenswerkstatt» könnte 2025 vorliegen, wenn sie ihre Arbeit Anfang 2023 aufnehmen kann. Das Konzept stammt maßgeblich aus dem Verein Friedensarbeit in der EKD, in dem sich die Akteure der protestantischen Friedensbewegung versammeln.
Die frühere Synodenpräses der EKD und Bundesministerin Irmgard Schwaetzer mahnt an, dass nicht nur die Perspektive der evangelischen Friedensbewegung im Prozess gehört werden dürfe, sondern man auch mit realpolitischen Akteure sprechen solle, die Einblicke in die konkreten außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg hätten. Sie befürchte sonst eine Einseitigkeit des Prozesses, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch der Synodale und Generalmajor der Bundeswehr, Ruprecht von Butler, mahnte die Ausgewogenheit des Gremiums in der kontroversen Aussprache zu Kramers Bericht an. Es sei wichtig, einige Positionen von 2007 zu überdenken.
Auf den Prüfstand müsse dann auch die Haltung zur nuklearen Abschreckungslogik, betonte von Butler. «Davor darf die evangelische Kirche sich nicht drücken», sagte er.
Eine Friedenskundgebung von 2019 enthält einen vorsichtigen Appell der Synode an die Bundesregierung, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten. Das hätte zur Folge, dass Deutschland aus der Nato austreten müsste. Auf diese Konsequenz hatte damals Irmgard Schwaetzer maßgeblich hingewiesen.
Die Synode müsse sich selbstkritisch fragen, ob die Überzeugungen und Gewissheiten, die im Herbst 2019 galten, drei Jahre später noch gelten können, heißt es auch in einem Antrag, den der Synodale und Jurist Hans-Peter Strenge am Sonntag einbrachte.
Zu welchen Positionen die Synode und Rat der EKD sich schließlich durchringen, einig dürften sich alle in dem Dilemma sein, auf das auch der Friedensbeauftragte am Montag hinwies: «Wir kommen nicht schuldlos aus diesen Fragen heraus, weil der Krieg das Böse selbst ist.»
(epd)
Hintergrund
Hier lesen Sie den Bericht des EKD-Friedensbeauftragten im Wortlaut:
„Selig sind die Pazifisten, denn sie werden Gottes Kinder heißen“ (Matthäus 5, 9)
Sehr geehrte Frau Präses, hohe Synode, liebe Geschwister,
herzlichen Dank, dass Sie mir heute die Gelegenheit geben, Ihnen von den aktuellen Herausforderungen und Entwicklungen der Arbeit am Friedensthema im Raum der EKD zu berichten.
Vorausschicken möchte ich, dass dies in einer Stadt geschieht, die zwei Mal vom Krieg schwer zerstört wurde, nämlich 1631 und 1945. Die Zerstörungen und die grausame Auslöschung von fast Zweidritteln der Bevölkerung im Dreißigjährigen Krieg waren so enorm, dass der Begriff „magdeburgisieren“ als Synonym für „völlig zerstören, auslöschen“ und als Sinnbild für „größtmöglichen Schrecken“ in die deutsche Sprache eingegangen ist.
Im Magdeburger Dom – der Bischofskirche der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland – zeugt zudem ein eindrückliches Mahnmal Ernst Barlachs von den Schrecken des Ersten Weltkrieges. Er hat es 1929 geschaffen und selbst als sein „größtes und verantwortungsreichstes“ plastisches Werk bezeichnet.
Zu Beginn des Krieges war Barlach noch überzeugt von dessen Notwendigkeit. Doch nur wenige Monate als freiwilliger Landsturmsoldat im Winter 1915/16 öffnen Barlach die Augen für den wahren Charakter des Krieges. Er spricht vom unsäglichen „Verbluten für Idee und Vorurteil“, vom „verblödende[n] Rechtsetzen seiner Völkerart gegen die fremde“ und er fordert zur Friedensarbeit auf mit den Worten:
„Den anderen verstehen wollen, schließlich auch verstehen lernen, (dem Gesetz der Eigenheit gehorsam) das Gesetz des Andersseins achten, möchte als schwerer und nicht lange aufschiebbarer Anfang der Arbeit am Frieden gelten.“Ein Teil dieser Friedensarbeit ist auch Barlachs Mahnmal gegen den Krieg im Dom, dessen Besuch ich Ihnen ans Herz lege.
Berufung des neuen Friedensbeauftragten
Mit meiner Berufung zum Friedensbeauftragten zu Beginn dieses Jahres hat der Rat der EKD einen Beschluss umgesetzt, den Sie, liebe Geschwister, auf Ihrer 2. Tagung im November 2021 gefasst hatten.
Ich empfinde es als eine große Ehre und Verantwortung, die engagierte und richtungsweisende Arbeit von Renke Brahms fortsetzen zu dürfen! Die von ihm initiierte Friedenssynode 2019 hat hohe Maßstäbe gesetzt und der Friedensarbeit große Beachtung in der Evangelischen Kirche verschafft.
Ob ich eine geeignete Person in dieser Zeit an dieser Stelle bin, wird inzwischen aufgrund meiner klaren Positionierung gegen Waffenlieferungen an die Ukraine von manchen kritisch gesehen. Aber vor dem Hintergrund meiner persönlichen Erfahrungen in der kirchlichen Friedensarbeit und im gewaltfreien Widerstand in der DDR, trete ich dafür ein, dass wir im Raum der EKD unseren Einsatz für Frieden und Gewaltlosigkeit gerade jetzt mit aller Kraft fortführen – in grundsätzlicher Orientierung an der Denkschrift der EKD von 2007 und den Beschlüssen der Friedenssynode 2019.
Und nun zur Arbeit am Frieden, die wir im Jahr 2022 im Raum der EKD leisten.
Dringlichkeit des Friedensthemas aufgrund des Krieges gegen die Ukraine
Das Friedensthema stellt sich heute mit besonderer Dringlichkeit. Seit dem Angriff der russischen Regierung auf die Ukraine am 24. Februar dieses Jahres ist für viele unsere bisherige Friedensordnung in Europa und darüber hinaus grundlegend erschüttert. Das habe ich in meinem schriftlichen Bericht, der Ihnen vorliegt, näher ausgeführt. An dieser Stelle möchte ich mich auf die Folgen für die sicherheitspolitische und friedensethische Debatte in Deutschland konzentrieren.Auch wenn es über 20 brutale kriegerische Konflikte, mit teilweise verheerenden Folgen auf der Erde gibt, hat der nahe Ukrainekrieg in der Mitte Europas die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland und in Europa grundlegend verändert. Alte sicherheitspolitische Strategien und Instrumente, die überwunden zu sein schienen – wie Aufrüstung und atomare Abschreckung – stehen wieder im Raum und laufen den dringlichen Maßnahmen zuwider, die wir im Blick auf den Klimawandel und die soziale Ungerechtigkeit längst ergreifen müssten. In der Folge haben sich auch die friedensethischen Debatten in unserer Kirche verändert.
Zwar sind Differenzierung und Vielstimmigkeit – gerade auch in friedensethischen Fragen – immer schon Kennzeichen der Evangelischen Kirche in Deutschland. Diese zuzulassen und auszuhalten, ist eine ihrer großen Stärken. Doch sind aktuell die Gegensätze schärfer hervorgetreten und werden lauter vertreten. Besonders bedenklich ist es, wenn versucht wird, die differenten Perspektiven zu polarisieren, sie in Schwarz-Weiß-Muster zu drängen, wenn etwa dem anders Denkenden in unsachlicher Abkürzung gewissenloser Militarismus oder naiver Pazifismus vorgeworfen wird, ihm gar sein Christsein abgesprochen wird.
So soll es bei uns in der Kirche nicht sein. Im Geist des Friedens auch über den Krieg und die Reaktionen darauf zu streiten, den Dialog zu suchen und gemeinsam zu ringen, die Ambivalenzen und Zerrissenheit auszuhalten, ist geboten. Als Kirche können und müssen wir ein Vorbild dafür sein, wie mit dieser Vielstimmigkeit bis hin zu gegensätzlichen Sichtweisen konstruktiv umgegangen werden kann. Letztere schärfen den eigenen Blick, verhindern Irrtümer und erfordern eine stete Rückbesinnung auf das gemeinsame Fundament im christlichen Glauben: Jesus Christus.
Denn auf der einen Seite stehen der Schutz des Nächsten und die Solidarität mit den Opfern, die christlich geboten ist; auf der anderen Seite der Ruf Jesu zu Gewaltlosigkeit und Feindesliebe und die Aufforderung, dem Bösen nicht mit Bösem zu begegnen. Wir kommen nicht schuldlos aus diesen Fragen heraus, weil der Krieg selbst das Böse ist. Es gibt keinen gerechten Krieg. Und die dringende Frage ist, wie wir aus dem ungerechten Krieg in einen gerechten Frieden kommen können. Wie kann eine weitere Eskalation des Krieges von unserer Seite her vermieden werden? Frieden wird nicht mit Waffengewalt geschaffen, das ist deutlich, aber wie kann Frieden werden?
Viele kirchliche Stellungnahmen sind sehr ausgewogen und differenziert, wie etwa der jüngste Aufruf der Ratsvorsitzenden der EKD zu Friedensgesprächen in ihrer Predigt zum Reformationstag. Medial werden sie aber oft auf die Frage nach Waffenlieferungen zugespitzt und reduziert, was der Komplexität der Problematik nicht gerecht wird. Verweisen möchte ich hier auch auf die sehr differenzierte Stellungnahme der Mitgliederversammlung der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) zum Krieg in der Ukraine, die am 24. September veröffentlicht wurde. Ihr ist anzumerken, dass sie aus einem sorgsamen Ringen um Positionen und Formulierungen hervorgegangen ist. Und auch im Bereich der Landeskirchen gibt es verschiedenste Verlautbarungen, die ebenfalls von intensiven Diskussionsprozessen zeugen, zuletzt das Papier der EAK Württemberg.
Im Folgenden möchte ich meine Beobachtung zu verschiedenen friedensethischen Einschätzungen benennen und auf einige friedenspraktische Aktivitäten im Raum der EKD hinweisen:
Erstens: Die Ukraine ist Opfer eines aggressiven Okkupationskriegs. Daher hat sie zweifellos das Recht auf militärische Selbstverteidigung und darauf, sich Hilfe von Drittstaaten zu erbitten. Sie genießt unsere volle Solidarität; ihr von unserer Warte aus, gewaltfreien Widerstand zu verordnen, wäre vermessen. Aber es gibt Gruppen, die auf das große Potential des gewaltfreien Widerstandes auch in der Ukraine hinweisen und über ernstzunehmende Alternativen zu militärischen Konzepten der Verteidigung arbeiten und so Sicherheit neu denken. Auch wenn dies in der konkreten Situation des Krieges als unrealistisch gilt, zeigen mehrere Studien, dass zivile Konfliktbearbeitung erfolgreicher und nachhaltiger ist als militärische Konfliktbearbeitung.
Zweitens: Wir haben die Pflicht, den leidenden und flüchtenden Menschen der Ukraine beizustehen, sie mit Hilfsgütern, Unterkünften und bei der Aufklärung und Ahndung der Kriegsverbrechen zu unterstützen.
Das leisten mit bewundernswerter Tatkraft eine Vielzahl von Gruppen und Initiativen unserer evangelischen Gemeinden sowie Organisationen der AGDF. Um nur ein Beispiel in der Ukraine zu nennen: Die Kurve Wustrow unterstützt im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes lokale Partner in Donezk und Luhansk darin, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, ganz unabhängig davon, auf welcher Seite sie geschehen sind.
Drittens: Das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung muss in allen Ländern geschützt werden, auch in Ländern, die sich im Krieg befinden. Daher sind wir angehalten, die russischen und belarussischen und ukrainischen Kriegsdienstverweigerer, denen Verfolgung, Verhaftung und Bestrafung droht, zu unterstützen und ihnen nach erfolgter Sicherheitsprüfung Obhut zu geben. Daher unterstützt die Evangelische Friedensarbeit – und hier speziell die EAK – z.B. die Kampagne #object war von Connection e.V., dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung, dem Internationalen Versöhnungsbund und War Resisters' International. Diese Kampagne fordert die EU dazu auf, russischen, belarussischen und ukrainischen Kriegsdienstverweigerern Schutz und Asyl zu gewähren.
Viertens: Auch für die Menschen im globalen Süden und Osten, die unter den Folgen des Ukrainekriegs leiden, haben wir als Christenmenschen eine Verantwortung und müssen uns dafür einsetzen, Not und eine extreme Zunahme des Hungers abzuwenden.Fünftens: Unsere Aufgabe ist es, für den Frieden zu beten. Wir beten für die Verantwortlichen auf allen Seiten, dass sie Wege aus der Eskalation finden. Wir beten für die Menschen in der Ukraine, in Belarus und Russland, die von Leid und Tod bedroht sind und wir beten auch für die Feinde – damit sie die Sinnlosigkeit von Krieg und Gewalt erkennen.
An vielen Orten wird an die Tradition der Friedensgebete angeknüpft. Die „Ökumenische FriedensDekade“, die parallel zur Synode läuft, regt mit einer Vielzahl an praktischen Vorschlägen und Materialien zur Durchführung von täglichen Friedensgebeten an. Beten Sie für den Frieden! Die Kraft des Gebetes ist nicht hoch genug zu schätzen!
Sechstens: Das Recht des Stärkeren darf nicht die Herrschaft des Rechts ersetzen. Daher darf die Hoffnung auf eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung nicht aufgegeben werden. Eine solche muss, wenn sie von allen mitgetragen werden soll, nicht nur an militärischer Logik orientiert sein, sondern, wie es auch das Konzept der „menschlichen Sicherheit“ der Vereinten Nationen formuliert, an den Bedürfnissen der Menschen. Insbesondere muss sie fähig sein, der drohenden Rüstungsspirale, gerade auch im nuklearen Bereich, Einhalt zu gebieten.Diesem Thema wird sich die Konferenz für Friedensarbeit an ihrem Studientag im Februar 2023 widmen. Mit Fachleuten aus Politik, Wissenschaft und NGOs werden wir diskutieren, was die europäischen Institutionen – EU, EU-Rat und OSZE – zu einer neuen Sicherheitsordnung und zur Abwendung eines ungebremsten Wettrüstens beitragen können.
Siebtens: Mit dem Stichwort „gerechter Frieden“ ist bereits angeklungen, dass unsere gemeinsame Grundlage, wenn wir bisher über friedensethische Fragen nachdachten, die Denkschrift der EKD von 2007 „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ und die Kundgebung der EKD-Friedenssynode von 2019 mit dem Titel „Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens“ bildeten. Einige Stimmen stellen dies nun infrage und werfen diesen Grundsatztexten naiven Pazifismus vor. Einigkeit herrscht allerdings darin, dass die Friedensethik immer an neuen Situationen überprüft und weiterentwickelt werden muss und dass der aktuelle Krieg in der Ukraine uns hierzu herausfordert.
An dieser Stelle kürze ich meine Beobachtungen zu den aktuell diskutierten friedensethischen Fragen ab, um zur Friedenswerkstatt zu kommen, die genau an dieser Stelle ansetzt. Ich bitte Sie aber, zu den weiteren, akuten friedensethischen Fragen meinen schriftlichen Bericht zu konsultieren – etwa zum Einsatz von Gewalt als ultima ratio, zur Frage eines möglichen Waffenstillstands, zu unserer Haltung zum russischen Patriarchen Kyrill, zum zu fordernden Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag und zur Notwendigkeit, nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz mit der Friedensfrage zusammen zu denken, ohne die es keinen gerechten Frieden geben kann.
Konzept der Friedenswerkstatt
Nun also zur Friedenswerkstatt: Es ist deutlich geworden, dass die Weiterentwicklung oder auch neue Grundlegung der Evangelischen Friedensethik, besondere Dringlichkeit erlangt hat
Folgerichtig hat der Rat der EKD in seiner März-Sitzung dieses Jahres die Konferenz für Friedensarbeit beauftragt, ihm zeitnah ein entsprechendes Konzept vorzulegen. Daraufhin habe ich mit der Friedenswerkstatt ein neues Gremium ins Leben gerufen, das zum ersten Mal alle maßgeblichen Stakeholder der Evangelischen Friedensarbeit und friedensethischen Reflexion im Bereich der EKD vereint, also neben den Mitgliedern der Konferenz für Friedensarbeit, auch Vertreter*innen der VELKD, der UEK, des im Entstehen begriffenen EKD-Kammernetzwerks und der EKD-Synode – einschließlich der Präses, die zugleich Mitglied im Rat ist.Zur Weiterentwicklung der Friedensethik in der aktuellen Situation ist ein breiter innerkirchlicher Verständigungsprozess nötig. Und so hat die Friedenswerkstatt unter dem Vorsitz der Direktorin der Ev. Akademie zu Berlin, Dr. Friederike Krippner, des ehemaligen Vorsitzenden der Kammer für Öffentliche Verantwortung, Prof. Dr. Reiner Anselm, und meiner Person ein Konzept zur Weiterentwicklung der Friedensethik entwickelt. Sie wird dessen Umsetzung ab Januar 2023 koordinieren – in enger Abstimmung mit dem Rat, der Synode, dem neuen Kammernetzwerk und der Konferenz für Friedensarbeit.
Dieses Konzept sieht ein partizipatives Verfahren in drei Schritten vor:
- Zunächst soll es einen umfassenden Konsultationsprozess zu den akuten friedensethischen Fragen geben. Bezugspunkt soll dabei die Friedensdenkschrift von 2007 sein. Eine Redaktionsgruppe aus dem neuen Kammernetzwerk begleitet die Konsultationen, wertet sie aus und formuliert auf ihrer Grundlage einen neuen Grundlagentext. Im Zuge der Auswertung wird sich erweisen, ob dieser Text eine Überarbeitung oder Ergänzung der Friedensdenkschrift von 2007 oder aber eine eigenständige Eine breite Partizipation kommt dadurch zustande, dass die Mitglieder der Friedenswerkstatt bei der Auswahl der Vortragenden sowohl auf die Vielfalt ethischer Positionen als auch auf eine große Breite interdisziplinärer und intergenerationeller Perspektiven achten; auch ökumenische Perspektiven aus dem Inland sollen einbezogen werden.
- Im zweiten Schritt sollen akute friedenspolitische Fragen im konsensorientierten Format des Bürgerrats beraten und entschieden werden. Hierbei geht es ausdrücklich darum, evangelische Menschen aus verschiedenen Landeskirchen zu beteiligen, die Interesse an friedensethischen Fragen, aber keine fachliche oder wissenschaftliche Expertise haben. Ziel ist es, den neuen friedensethischen Grundlagentext einer größeren innerkirchlichen Öffentlichkeit bekannt zu machen und zu erproben, inwieweit er bei konkreten policy-Fragen zu begründeten Entscheidungen verhilft. Die Resultate werden auch der Redaktionsgruppe vorgestellt, um eventuelle Textänderungen einzutragen.
- Im dritten Schritt soll ein Konsultationsprozess zur Friedenspraxis ermitteln,
- inwiefern sich die unterschiedlichen Akteure der praktischen Friedensarbeit in dem neu ausgehandelten Grundlagenpapier wiederfinden,
- welche Impulse sie dadurch für ihre weitere Arbeit gewinnen und
- welche darüber hinaus gehenden Erfordernisse sie für die zukünftige Friedenspraxis sehen.
Einbezogen werden sollen hierbei insbesondere auch Perspektiven der internationalen Ökumene.Der Rat der EKD hat das Konzept der Friedenswerkstatt, das ihm in seiner Septembersitzung von den drei Vorsitzenden vorgestellt wurde, sehr wohlwollend aufgenommen. Er hat in Aussicht gestellt, ihre Arbeitstreffen und den breiten friedensethischen Verständigungsprozess auch finanziell zu ermöglichen. Ich bitte Sie herzlich, ihn dabei zu unterstützen.
Weitere aktuell bearbeitete Friedensthemen: Friedensbildung und Zivile gewaltfreie Konfliktbearbeitung
Die Evangelische Friedensarbeit im Raum der EKD bearbeitet weitere wichtige Friedensthemen. Zwei davon, die Friedensbildung und die Zivile Konfliktbearbeitung, greife ich an dieser Stelle exemplarisch heraus. Damit bin ich beim letzten Punkt meines Berichts angelangt. Sie, liebe Geschwister, haben sich in Ihrem Beschluss zur Friedensbeauftragung vom November 2021 für die Wiederaufnahme dieser Themen explizit ausgesprochen.Diesem Beschluss folgend, hat der gemeinsame Studientag von AGDF und EAK in diesem Herbst eine Bestandsaufnahme der Aktivitäten ihrer Mitglieder in beiden Arbeitsfeldern unternommen. Dabei ist deutlich geworden, dass sowohl Friedensbildung als auch Zivile gewaltfreie Konfliktbearbeitung seit Jahren Schwerpunktthemen ihrer Arbeit bilden. Die Ergebnisse habe ich in meinem schriftlichen Bericht zusammengestellt.
Ich werde mich hier auf die Empfehlungen beschränken, die AGDF und EAK als Fazit ihrer Bestandsaufnahem an die EKD richten:
1. Kirche sollte stärker als Diskursraum verstanden werden, in dem gesellschaftliche Konflikte in geschützten Formaten ausgetragen und unter professioneller Begleitung gewaltfrei bearbeitet werden können.
2. Dafür ist in Gemeinden bzw. Kirchenkreisen das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Kompetenzen der Konfliktbearbeitung zu wecken und deren Ausbau zu fördern, damit nicht nur Dialogräume für die geschützte Austragung von Konflikten schaffen, sondern auch öffentliche Auseinandersetzungen zu strittigen gesellschaftlichen Themen moderiert werden können.
3. Unerlässlich ist dafür die verbesserte Förderung von Fortbildungen kirchlicher Mitarbeiter*innen in den Bereichen Friedensbildung und Konfliktbearbeitung und das Betreiben von Online-Portalen mit entsprechenden Angeboten und Informationen.
4. Friedensbildung und Konfliktbearbeitung sind langfristige Aufgaben, die entsprechend eine kontinuierliche Finanzierung benötigen. Daher ist eine stärkere institutionelle Verankerung beider Arbeitsbereiche durch die Einrichtung bzw. Erhaltung von Koordinierungsstellen auf kirchlicher Ebene zentral. Dazu gehört nicht nur die nachhaltige Sicherung von entsprechenden landeskirchlichen Stellen, sondern auch – hier betrifft es die EKD – die Sicherung der Struktur auf Bundesebene zur Vernetzung, Koordinierung, Qualifizierung und für die entsprechende Lobbyarbeit in Richtung Politik.
5. Schließlich ist es von großer Bedeutung, dass die Zivile gewaltfreie Konfliktbearbeitung in das neue Demokratiefördergesetz der Bundesregierung aufgenommen wird. Konflikte konstruktiv und nachhaltig zu bearbeiten, ist ein wesentliches Mittel zur Demokratieförderung, denn ungelöste gesellschaftliche Konflikte machen radikale Antworten anschlussfähiger. Die gesetzliche Verankerung der Zivilen Konfliktbearbeitung würde auch ihre langfristige Finanzierung erleichtern.
Das alles sind wichtige Perspektiven und Anregungen für die Friedensarbeit im Raum der EKD, die ich Ihnen sehr ans Herz lege. Daran möge Sie eine Postkarte, die Sie am Stand der Friedensarbeit erhalten können, erinnern. Sie zeigt das von einer Künstlerin gestaltete Friedenssymbol, mit dem die Gemeinden, die an dem EAK-Projekt „Local PEACE“ teilnehmen, ausgezeichnet werden.
Und um mit den leicht abgewandelten Worten Ernst Barlachs zu schließen: Wir haben es mit „schweren und nicht lange aufschiebbaren [Aufgaben] der Arbeit am Frieden“ zu tun – gehen wir sie im Geiste Christi gemeinsam tatkräftig an.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Autor:Online-Redaktion |
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