Interview: Käßmann predigt in Eisenach
Mensch, Mutter, Margot
Unruhestand: Margot Käßmann predigt zum Auftakt der "Achava Festspiele Thüringen" in Eisenach. Der christlich-jüdische Dialog und die Aufarbeitung der Kirchengeschichte liegen ihr am Herzen. Mit Willi Wild sprach sie beim Kirchentag in Dortmund auch darüber.
Sie haben sich 2018 für ein halbes Jahr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Wie ging es Ihnen dabei?
Margot Käßmann: Das war, ehrlich gesagt, großartig. Von Mai bis Dezember habe ich außer meinem Abschiedsgottesdienst keine Veranstaltung gemacht. Das tat echt mal gut. Durchatmen und aufräumen. Was glauben Sie, wie es bei mir zu Hause aussah. Dann bin ich wieder nach Hannover gezogen. Zwei Enkelkinder wurden geboren. Da habe ich versprochen: Ich bin für die Geschwister da, wenn es losgeht. Und ich konnte für mich sortieren, was ich eigentlich machen möchte. Es war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar, was ich im Ruhestand tun will. Zunächst habe ich alle kirchlichen Ämter aufgegeben, alle Mitgliedschaften, kirchlichen Herausgeberschaften. Dann habe ich mir überlegt, wo ich mich engagieren will. Da kam dann das Kinderhilfswerk „terre des hommes“ auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich Botschafterin werden möchte. Ich habe gern zugesagt. Bei der Stiftung Weltbevölkerung bin ich schon lange im Kuratorium. Dort hat man gemeint, ich könne doch jetzt Projekte besuchen. Ich engagiere mich in der Friedensbewegung, und ich bin Herausgeberin der Straßenzeitung in Niedersachsen.
Und es gibt die Zeitschrift „Mitten im Leben – Post von Margot Käßmann“. Was hat es damit auf sich?
Das war die Idee des Herder-Verlags. Pater Anselm Grün gibt dort eine Zeitung heraus. Ich bin gewissermaßen das Pendant. Auf der einen Seite Mann, katholisch, und ich, Frau, evangelisch. Die Zeitschrift erscheint monatlich. Darin sind immer ein biblisches Porträt und Themen enthalten, die mich interessieren, wie Frieden, Gerechtigkeit und Spiritualität. Dazu spreche ich dann in jeder Ausgabe mit einer interessanten Person. Claudia Roth von den Grünen habe ich über Gerechtigkeit interviewt. Die Friedensfrage habe ich mit dem Liedermacher Konstantin Wecker erörtert. Mit Alice Schwarzer habe ich in der August-Ausgabe das Thema Frauen beleuchtet.
Margot Käßmann auf dem Roten Sofa
Das Interview mit Margot Käßmann jetzt in voller Länge anschauen:
Margot Käßmann, Landesbischöfin a D., Autorin auf dem roten Sofa der Kirchenpresse beim Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund.
Alice Schwarzer hält das Kopftuch für die „Flagge des politischen Islam“. Konnte Sie die Frauenrechtlerin überzeugen?
Ich mag sie gerne. Aber ich finde, wir müssen mit den Musliminnen ins Gespräch kommen. Man kann eine Frau nicht einfach abwerten, nur weil sie ein Kopftuch trägt. Ich kann mir doch auch ein Kopftuch aufsetzen. Ähnlich geht es mir bei der Frage nach der Kippa in der Öffentlichkeit. Ich bin dagegen, dass Frauen ihr Gesicht verhüllen. Ich bin auch dagegen, dass Frauen oder Mädchen gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen. Aber ich kenne Musliminnen, die sagen: Ich will das selbstbewusst tragen. Meine Tochter erzählte mir von einer Frau, die sich einen Burkini gekauft hat und gerne schwimmen möchte. Sie macht es nicht, weil sie weiß, was im Schwimmbad abgeht, wenn sie im Burkini kommt. Das kann ich nicht verstehen. Schaut doch mal, wie viele Menschen an der Ostsee im Neopren-Anzug ins Wasser gehen. Früher durften sich die Frauen nicht ausziehen und heute dürfen sie sich nicht anziehen.
Obwohl Sie kein kirchliches Amt mehr bekleiden, sind Sie gefragt, und die Menschen, wie hier vor den Westfalenhallen in Dortmund beim Kirchentag, hängen an Ihren Lippen. Könnten Sie sich mit einem Ehrentitel "Kirchentagsbischöfin" anfreunden?
Nein, das wäre falsch. Auf dem Empfang zum 1. Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin sagte der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit: „Ich begrüße die Herren Bischöfe, Eminenzen, Exzellenzen.“ Da habe ich ihn darauf hingewiesen, dass es sich beim Kirchentag um ein Laientreffen handelt. Da sind die kirchlichen Würdenträger gern gesehene Gäste. Das ist eine Veranstaltung vom Kirchenvolk, und deshalb hat Wowereit damals die Falschen begrüßt. Viele wissen heute nicht mehr, dass der Kirchentag 1949 von dem Juristen und Mitglied der Bekennenden Kirche, Reinold von Thadden-Trieglaff, gegründet wurde, weil er das Gefühl hatte, die Christen sind auch von ihren Kirchenleitungen in die Irre geführt worden. Er hat sich gewünscht, dass auf den Kirchentagen die Christen sich so bilden können im Glauben, dass sie widerständig genug in der Welt sind. Das ist eigentlich die Idee.
Ist an dem Satz, der einem Rabbiner zugeschrieben wird, etwas dran: »Nun ja, das Leben beginnt eigentlich erst, wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Hund gestorben ist.«?
Ich finde es schon interessant, so frei zu sein. Ich habe manchmal das Gefühl, meine Töchter beneiden mich richtig. Die sind jetzt alle im Kleinkinder-Stress. Die sagen: „Mensch Mutter, du machst einfach, worauf du Lust hast.“ Ja, das ist schon eine schöne Phase im Leben. Ich predige oder halte einen Vortrag und kann mich da einbringen, wo ich mich engagieren will. Die Zipperlein kenne ich inzwischen auch schon, aber ich bin für meine Gesundheit dankbar. Ich höre nicht mehr so gut, aber das kann ja auch von Vorteil sein.
Wir haben eine gemeinsame Vorliebe für die Insel Usedom. Ein wunderschönes Eiland, aber auch AfD-Hochburg. Reden Sie, wenn Sie auf Usedom sind, mit AfD-Anhängern?
Ich rede mit meinen Nachbarn, und die sind alle sehr nett. Wir treffen uns auch mal zum Grillen. Ich frage meine Nachbarn nicht, was sie wählen, das frage ich Sie ja auch nicht. Ich rede aber darüber, wie ich aufgewachsen bin. In meiner Kindheit kamen Italiener, Türken oder Jugoslawen, und wir hatten keine Angst voreinander. In Stadtallendorf, wo ich aufwuchs, gab es die erste Moschee in Deutschland. Es war ein gutes Miteinander. Andreas, ein Katholik, und ich haben den Kindergottesdienst gemacht, und Fehim Ökzüs, ein Muslim, wollte immer dabei sein. Dann hat er beim Krippenspiel den Hirten gespielt. Das war alles so unaufgeregt. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund liegt auf Usedom vielleicht bei zwei Prozent. Der oftmals geschürten Angst müssen wir einfach andere Bilder entgegensetzen.
Welche Bilder meinen Sie?
Bilder vom gemeinsamen Leben, wie wir beispielsweise Deutschsein definieren. Dass daran eben nicht hängt, woher meine Eltern und Großeltern abstammen. Vielmehr geht es darum, wer miteinander heute in Freiheit mit der Gleichberechtigung für Frauen, ohne Gewalt in der Erziehung und diesen Werten unser gemeinsames Leben gestalten will. Pöbelnde, grölende Glatzköpfe sind nicht integriert. Auch über dieses Integrationsproblem müssen wir reden. Es wird immer so getan, als wäre Integration eine Leistung von denen, die zuwandern. Es ist auch eine Leistung, für diese Freiheitsrechte einzutreten für diejenigen, die schon lange hier leben.
Warum tut sich Kirche scheinbar schwer im Umgang mit der AfD? Warum redet man nicht miteinander?
Ich habe kein Problem damit, mit Vertretern der AfD zu reden. Aber ich rede nicht mit Demokratieverächtern, die von vornherein andere diskriminieren und dafür sind, dass wir die Grenzen dichtmachen. Ich habe selbst vor zwei Jahren nach dem Kirchentag in Berlin und Wittenberg erlebt, was die AfD aus Sätzen von mir gemacht hat. Danach wurde ich bedroht mit Hassmails, wie: „Wir werden Dich abstechen und Halal mit Deinen Freunden ausbluten lassen.“ Ich finde unverantwortlich, dass die AfD, in deren Namen diese Drohungen ausgesprochen wurden, da nicht eingreift. Solange da keine klaren Grenzen existieren, sehe ich auch keine Gesprächsgrundlage. Im Übrigen finde ich falsch, zu sagen, die AfD sei ausgeladen. Jedes Mitglied der Partei könnte doch zum Kirchentag kommen, sich einen Teilnahmeausweis bestellen, wie jeder hier, und mitdiskutieren.
Sie engagieren sich gegen Antisemitismus und werden am 22. September Ihre Stimme in Eisenach anlässlich der Eröffnung der Achava-Festspiele erheben.
Ich möchte herzlich dazu einladen. Die Festspiele beginnen schon am Donnerstag, 19. September, mit einem Konzert in der Georgenkirche. Am Freitag wird Rabbiner Nachama den Sabbat willkommen heißen mit Shabbat Shalom, einem jüdischen Gottesdienst. Da bin ich dabei, und am Sonntag halte ich einen Gottesdienst dazu. An diesem Wochenende wird die Ausstellung zum sogenannten "Entjudungsinstitut" im Lutherhaus eröffnet. Mir wurde erst im Rahmen des Reformationsjubiläums bewusst, dass Theologen in der Nazi-Zeit am kirchlichen "Entjudungsinstitut" versucht haben, aus der Liturgie, dem Gesangbuch und aus der Bibel alles „Jüdische“ zu entfernen. 11 Landeskirchen waren damals an diesem Institut beteiligt.
Ich musste zur Kenntnis nehmen, was mir sehr schwergefallen ist: dass der Theologe Walter Grundmann, dessen Bücher auch bei mir im Studium zur Lektüre gehörten, als Direktor dieses Instituts die treibende Kraft war. Das ist nach 1945 überhaupt nicht aufgearbeitet worden. Mich macht betroffen, dass renommierte wissenschaftliche Theologen daran beteiligt waren.
Das müssen wir als evangelische Christen als Schuldgeschichte ganz klar benennen. Ich kann nicht nachvollziehen, was diese Leute damals getrieben hat. Wir können doch unsere Bibel nicht lesen, ohne zu sehen, dass Jesus Jude war und in seiner jüdischen Glaubenswelt aufgewachsen ist. Wer glaubte, das trennen zu können, ist absolut in die Irre gegangen.
Wir sprechen hier auf dem Kirchentag miteinander. Können Sie sich noch an Ihren ersten Kirchentagsbesuch erinnern?
Das war vor 40 Jahren, 1979 in Nürnberg. Ich war Theologiestudentin und mit einer Gruppe dort. Wir schliefen in einer Turnhalle, und ich war unglücklich verliebt. Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist: In Nürnberg ist zum ersten Mal das Abendmahl als Feierabendmahl gefeiert worden. Ich war total überrascht, dass man das Abendmahl ganz locker und als freudiges Fest feiern kann. So kannte ich das gar nicht.
Ich habe Ihnen ein Buch mitgebracht. Ein Rückblick auf das Reformationsjahr und den Kirchentag 2017, mit einer Geschichte, die zeigt, wie Menschen durch dieses Jahr, für das Sie als Botschafterin unterwegs waren, berührt und angesprochen wurden.
Danke! Die Erfahrung konnte ich 2017 ebenfalls machen. Ich sehe noch vor mir das Bild, als wir in Wittenberg mit dem Abendsegen begonnen haben. Fritz Baltruweit, der diese kleine Veranstaltung geleitet hat, tat mir da am Anfang sehr leid. Zunächst war das nämlich nur ein kleines Häuflein von etwa fünf Personen. Später kamen dann 300 bis 500 Leute und beileibe nicht alles Kirchengemeinde-Mitglieder. Das war eine schöne Form, den christlichen Glauben niedrigschwellig ins Gespräch zu bringen.
Achava Festspiele
Donnerstag, 19. September
Eisenach. Lutherhaus, 18 Uhr: Ausstellungseröffnung „Das kirchliche "Entjudungsinstitut" 1939 –1945“; Georgenkirche, 19.30 Uhr: „Avi Avital meets Thüringer Bach Collegium“Freitag, 20. September
Eisenach. Festzelt, Lutherplatz, 11 Uhr: SchülerKunstProjekt; 16 Uhr: Kinderstadtführung „Jüdisches Leben in Eisenach“; Festzelt, 19 Uhr: Schabbat-Abend
Erfurt. Dom, 19.30 Uhr: Uraufführung „Missa Cum Jubilo“ von Silvius von KesselSonnabend, 21. September
Eisenach. Georgenkirche, 15 Uhr: „Sie treffen uns wieder …“ – Enthüllung der wiederhergestellten Bibelworte an den EmporenSonntag, 22. September
Eisenach. Georgenkirche, 10 Uhr: Festgottesdienst mit M. Käßmann; Festzelt, 14 Uhr: Podium „Antisemitismus“; Stadtschloss, 18.30 Uhr: Vladimir Stoupel, mit Werken verfolgter und ermordeter JudenHier geht es zum Achava Festspielprogramm
Autor:Online-Redaktion |
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