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Urlaub
Jeder Gruß ein Unikat

Auch nach 150 Jahren hat die Postkarte nichts von ihrer Faszination eingebüßt. In Stuttgart gibt es sogar eine professionelle Postkartenschreiberin. Sabine Rieker (Foto) verschickt Grüße im Abonnement. | Foto: Foto: epd-bild/Werner Kuhnle
  • Auch nach 150 Jahren hat die Postkarte nichts von ihrer Faszination eingebüßt. In Stuttgart gibt es sogar eine professionelle Postkartenschreiberin. Sabine Rieker (Foto) verschickt Grüße im Abonnement.
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Den Lieben daheim eine Postkarte zu senden, ist Tradition, wenn man verreist. 151 Jahre alt ist die kleine Mitteilung aus Karton – und sie behauptet sich auch heute.

Von Florian Riesterer 

An manchen Tagen sind es bis zu 40 Postkarten, die Sabine Rieker schreibt. Die 32-jährige Stuttgarterin sitzt gerne in ihrem Stammcafé und lässt ihrem Kugelschreiber freien Lauf. «Liebe Seele», beginnen ihre Karten meist und enden mit «Die Postkartenschreiberin». Seit ein paar Jahren sind es nicht mehr nur Freunde, an die Rieker schreibt. Längst hat sich ihr Hobby herumgesprochen: Rieker bekam Anfragen - anfangs gegen einen Cappuccino, inzwischen gegen Spende. Mittlerweile lebt sie allein vom Postkartenschreiben, sagt sie.
151 Jahre nach ihrer Erfindung im Jahr 1869 fasziniert die Postkarte noch immer. Fast zeitgleich hatten Heinrich von Stephan, Oberpostrat und späterer Generalpostdirektor des Deutschen Kaiserreichs, sowie der österreichische Nationalökonom Emanuel Herrmann Vorschläge für die Erfindung einer Korrespondenzkarte gemacht. Am 1. Oktober 1869 gab Österreich-Ungarn die ersten Postkarten heraus. Die Deutsche Reichspost zog neun Monate später nach.
«Die Erfindung lag in der Luft», sagt die Medienwissenschaftlerin Anett Holzheid vom Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe: «Sie füllte eine Lücke zwischen dem teuren Telegramm und dem aufwendigen Brief.» Das galt geschäftlich wie auch privat. Reisende kündigten ihre Ankunft an, Kunden versicherten sich des Versands von Waren, die mit der Eisenbahn immer weitere Reisen antraten.
Vorbehalte gegen die Postkarte hatte vor allem das Bürgertum, das seinen Statusverlust befürchtete, wie Holzheid sagt. Schließlich seien Briefe mit unzähligen bürgerlichen Kodices aufgeladen gewesen: von der Papiergröße über den Abstand von Text zur Anrede bis hin zum Inhalt. Die wurden mit der Postkarte über Bord geworfen. Sie galt als unkonventionell, auch weil ihr Inhalt niemandem verborgen blieb – anders als der Absender. Für Holzheid ist die Postkarte, weil sie jeder schreiben und bezahlen konnte, das erste demokratische Medium.
Gleichwohl stand die Karte im Schatten des Briefes. Das änderte sich, als die weiße Textseite mit Bildmotiven aufgewertet wurde. Stück für Stück verschwand so auf vielen Karten der Text von der Bildseite, bis er schließlich ein eigenes Feld neben dem Adressfeld zugewiesen bekam. Die Ansichtskarte war geboren.
Knapp eine Milliarde Karten – mit und ohne Bild – wurden um 1900 im Deutschen Reich versendet. Bis zu zehn Mal am Tag stellten Postboten in großen Städten die Karten zu, sagt Historiker Veit Didczuneit vom Museum für Kommunikation Berlin. Im Jubiläumsjahr sind hier und an den anderen Standorten der Museumsstiftung Post und Telekommunikation in Nürnberg und Frankfurt am Main Ausstellungen geplant.
Bis zum Ersten Weltkrieg, in dem die Feldpostkarte die Frontsoldaten seelisch mit der Heimat verband, dauerte die Hoch-Zeit der Postkarte. Dann löste das Telefon sie nach und nach als Informationsmedium ab. Was blieb, war die Ansichtskarte, die sich zwischen Urlaubs- und Geburtstagsgrüßen in Nischen einrichtete.
Inzwischen haben Messenger-Dienste Postkarten längst den Rang abgelaufen. Urlauber grüßen ihre Liebsten zu Hause per Smartphone, inklusive Foto. Trotzdem stellte die Deutsche Post nach Angaben eines Sprechers 2017 immer noch 195 Millionen Postkarten zu, der Höhepunkt liegt zur Urlaubszeit.
Bei «Postkartenschreiberin» Sabine Rieker bestellen etliche Menschen ein Postkartenabonnement für Dritte. Häufig schrieben sie dann ausführlich über den Beschenkten, erzählt Rieker. Sie frage sich dann manchmal, warum die Leute nicht selbst zu Karte und Stift greifen. Eine Ursache glaubt sie entdeckt zu haben: «Viele haben ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Handschrift.» Bei ihr ist jedes Stück ein Unikat, verziert mit Stempeln, Schnörkeln und Verzierungen.
Je schneller die digitale Technik, umso bedeutungsvoller wird die einzelne Postkarte. Sie signalisiert: Ich nehme mir viel Zeit für dich. Die Karte schwimmt so auf der Welle der Entschleunigung mit, die sich in Achtsamkeitstrainings, Yogakursen oder Pilgerreisen äußert. Was auch daran liegt, erklärt Sprachwissenschaftler Hajo Diekmannshenke von der Universität Koblenz Landau, dass die Postkarte, anders als elektronische Kommunikation, keine direkte Antwort erwartet – sieht man einmal von rund 20 Schachspielern im Deutschen Fernschachbund ab. Sie spielen noch per Postkarte – weil die moderne Technik sie überfordert, sagt Turnierdirektor Michael Müller-Töpler. Der 75-Jährige vermisst Schach per Postkarte nicht: «Zu teuer und es dauerte so lang.»
Eines hat sich laut Diekmannshenke nie verändert: das formelhafte Schreiben in Floskeln: «Viele Grüße aus ..., das Wetter ist schön, das Wasser warm, das Essen gut». Obwohl Sabine Rieker in ihrem «Atelier für Postkartenschreibung» das wohl anders sieht.
(epd) 

Autor:

Online-Redaktion

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