Landesgartenschau Torgau: Episode 6
Zeit für ein Gespräch
Wenn ich in unser Kirchenwäldchen komme, zur Andacht, oder auch zwischendurch, dann setze ich mich meist auf irgendeine Sitzgelegenheit.
Von Christina Neupert
Manchmal sitze ich in der Lounge-Gruppe direkt am Elbbalkon. Dort hatte ich schon ganz unterschiedliche Begegnungen. Ein Gespräch mit meinem Mann, eines mit unserem Bischof Gerhard Feige, mit Sebastian und Philipp und mit Clarentinerpater Misya aus dem Kloster Mühlberg.
Wenn ich auf dieser kleinen bequemen Bank mit den weichen Kissen und dem Tisch mit dem Blumenstrauß, umgeben von Bäumen und Sträuchern, sitze, sehe ich die Elbe, und ich schaue auf die Eisenbahnbrücke. Schiffe fahren vorbei, Besucher plaudern beim Flanieren, ein Zug hupt, und trotzdem ist es um mich und in mir ganz ruhig und still. Ich habe Zeit für die Menschen, die mit mir Platz genommen haben. Hier kann ich aufatmen. Hier bin ich getragen. Hier komme ich an. Nicht nur mir geht es so, sondern allen Gästen der Landesgartenschau. Das lässt sich oft beobachten. Es wird ganz deutlich, es ist so ein schöner Ort, weil Gott zu Gast ist.
Der Bibeltext, der diesem Ort zur Seite gestellt wurde, handelt von Abraham und Sara, wie sie überraschend Besuch haben, Besuch von Gott, ihn bewirten, Gespräche führen, hören, erzählen und eine freudige Botschaft von der bevorstehenden Schwangerschaft Saras erhalten. Unser Gott ist ein Gott der Gemeinschaft, der Liebe und Fürsorge. Er ist immer zu Gast in meinem, in unserem Leben, im Kirchenwäldchen und in unserer Welt.
Mir fällt dazu eine kleine Geschichte von Leo Tolstoi ein: Der Schuster Martin lebt in einem kleinen Dorf. Er liest jeden Tag in seiner Bibel. Und eines Tages hört er eine leise Stimme, die ihm sagt: „Martin, schau morgen auf die Straße. Ich werde kommen. Ich will bei dir zu Gast sein.“
Am nächsten Morgen kocht er eine große Kanne Tee und fängt an zu arbeiten. Da kommt der Straßenkehrer Stephan vorbei. Seine Füße sind müde von der Arbeit. Martin sieht es sofort und lädt ihn zu einer Tasse Tee ein. Danach kann Stephan wieder weiter die Straße fegen. Wenig später geht eine junge Frau mit ihrem kleinen Kind vorbei. Ein Platzregen hat sie durchnässt. Martin bittet sie in seine Werkstatt, gibt ihnen warmen Tee und eine Decke. Als sie sich aufgewärmt haben, ziehen sie weiter. Eine alte Frau mit einem Korb voller Äpfel geht an der Werkstatt vorbei. Ein Junge rennt um die Ecke, greift in den Korb, nimmt sich einen Apfel und will weglaufen. Schnell läuft Martin aus dem Haus und ruft den Jungen zurück. Er vermittelt zwischen den beiden. Die Frau schenkt dem Jungen einen Apfel und er trägt ihr den schweren Korb nach Hause.
Inzwischen ist es dunkel geworden. Martin zündet eine Kerze an und holt seine Bibel. Da hört er wieder die leise Stimme, die ihn fragt: „Martin, hast du mich erkannt? Ich war heute dreimal bei dir. Ich war der Straßenkehrer, die junge Frau und die Alte mit dem schweren Korb. Danke für deine Gastfreundschaft!“
Ja, so wie es der Schuster Martin bei Leo Tolstoi erfahren durfte, so habe auch ich es in unserem Kirchenwäldchen erfahren dürfen. Gott ist zu Gast, wo wir uns Zeit nehmen für ein Gespräch, eine Tasse Tee und die Sorgen unserer Mitmenschen, auf der kleinen Bank der Lounge-Gruppe und überall in unserem Leben und in dieser Welt. Nimm Platz, atme auf und sei gastfreundlich! Ich freue mich darauf, jeden Tag neu.
Autor:Online-Redaktion |
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