Menschen
In Schwesterntracht eingemischt
Irgendwie wirkte die kleine Frau, die sich in Schwesterntracht und mit dem Fahrrad stets rastlos durch Halberstadt bewegte, wie aus der Zeit gefallen – vor und nach der Wende. Schwester Ursel lebte ihre christliche Berufung, auch wenn sie mal aneckte.
Von Uwe Kraus
Schon mit 18 Jahren hat sie sich entschieden, Diakonisse zu werden. Ursula Sommer, wie in ihrem Ausweis stand, lebte ihr Leben unter dem Leitspruch „Solange der Herrgott mir die Kraft gibt, will ich für die Menschen kämpfen, ob jung oder alt.“ 95-jährig schloss sie nun friedlich und in Begleitung der Sozialstation des Diakonissen-Mutterhauses Cecilienstift und des Hospizvereins Halberstadt ihre Augen. Das hat eine große Symbolik, setzte sie sich doch nach ihrer Ausbildung in der Anhaltischen Diakonissenanstalt Dessau bis 1970 mit ganzer Kraft für die Hospizarbeit im Cecilienstift Halberstadt und bei der Begleitung Schwerstkranker und Sterbender ein. Den Hospizverein hatte sie selbst mitgegründet. Dann begann sie ihren Weg als Gemeindeschwester in der Evangelischen Kirchengemeinde St. Johannis in Halberstadt und trat gleichzeitig der Evangelischen Schwesternschaft bei. Bis zu ihrer Pensionierung wirkte Schwester Ursel als engagierte Stadtschwester in der Domstadt. „Ich war das fast 28 Jahre lang, darum kennen mich so viele hier“, sagte sie zu ihrem 90. Geburtstag.
Dabei war damals auch der Linke-Oberbürgermeister Andreas Henke. „Meinen größten Respekt, Bewunderung und Dankbarkeit für alles, was Sie in der Stadt jahrzehntelang lang geleistet haben“, sagte er. Ihren Einsatz und ihr soziales Engagement würdigte die Stadt im Jahr 2006 mit der Verleihung der Ehrenbürgerschaft an die spätere Trägerin des Bundesverdienstkreuzes.
„Solange der Herrgott mir die Kraft gibt, will ich für die Menschen kämpfen"
Der deutschen Vereinigung stand Schwester Ursel positiv gegenüber, hätte sich aber gewünscht, dass viele bewährte soziale Errungenschaften übernommen worden wären. Unermüdlich, selbstlos und ehrenamtlich engagierte sie sich nicht allein in der Hospizbewegung. Ihr Mitgefühl galt vor allem den Menschen, die in der heutigen Gesellschaft „auf der Strecke geblieben“ sind. Nicht immer stieß ihre Meinung bei allen auf Gegenliebe. So, als sie meinte: „Der § 218 wäre gar nicht nötig, wenn für die Zukunft von Müttern und Kindern besser gesorgt wäre.“
So blieb es nicht aus, dass sie sich auch in der eigenen Kirche mit ihrem Blick aufs Leben an vielen Dingen rieb. Die lebenskluge Diakonissenschwester Ursel fragte Alt-Bischof Axel Noack einst, warum selbst die Diakonie „schnittigere und effektvollere Arbeit“ leisten soll. Sie sehe in ihrer täglichen ehrenamtlichen Arbeit in der Hospizbewegung, wie sich auch Altersarmut ausbreite. In Schwesterntracht hat sie sich immer wieder eingemischt. Sie stützte jene, die meinten, Kirche müsse den Mut haben, sich unbeliebt zu machen. „Nicht flüstern, sondern schreien“ , dieser einstigen Forderung von Norbert Blüm in der Kirchenzeitung stimmte sie aus tiefem Glauben zu.
So fand sich die kleine Frau mit Tracht und weißem Häubchen bei den Montagskundgebungen des Arbeitskreises gegen Sozialabbau oder auf Demos gegen Sozialabbau in Berlin. „Leuten beistehen und ihnen Mut machen, das ist mir wichtig,“ erklärte sie selbst noch in ihrem neunten Lebensjahrzehnt. Woraus sie ihre Kraft für ihr permanentes Wirken schöpfte? Schwester Ursel dachte da nicht lange nach. „Einmal aus dem Gebet, meiner Evangelischen Schwestern- und Bruderschaft, aber auch aus der Dankbarkeit der Menschen.“
Autor:Online-Redaktion |
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