Wenn die Kirche aus allen Nähten platzt
Bergweihnacht mit den »Rühler Lütern«: Die dritte Auflage der Idee von Ziegen-Alm-Öhi ist in Ruhla ein echter Renner geworden.
Von Susanne Reinhardt
Ruhlas St.-Concordia-Kirche ist eine der wenigen noch original erhaltenen Winkelkirchen in Deutschland. Der dort tätige evangelische Pfarrer Gerhard Reuther sorgt mit kulturellen Angeboten dafür, dass sie nicht nur an besonderen Festtagen gut besucht ist. Zur Bergweihnacht aber standen und saßen Menschen, dicht an dicht gedrängt, sogar in Gängen.
Die »Rühler Lüter« sind einer der Hauptakteure dieses Events im Zwei-Jahres-Rhythmus, das nun zum dritten Mal aufgeführt wurde. Die Veranstaltung war zugleich das 16. geöffnete Türchen des »Lebendigen Adventskalenders« der Kirchengemeinde in der Bergstadt im nordwestlichen Thüringer Wald.
Die Idee für diesen besonderen Abend, der so viel Bodenständigkeit beinhaltet, stammt von dem singenden Wirt der Ruhlaer »Geißen Alm«, Dieter Koch. Er veranstaltete viele Jahre lang in seinem Gasthaus, genauso wie seine Kollegen von der »Ruhlaer Skihütte«, Adventssingen mit Zitherbegleitung. Aufgrund der großen Nachfrage reichten die örtlichen Platzverhältnisse aber dort nicht mehr aus. Und so entstand vor sechs Jahren die Idee, das Ganze in die Concordia-Kirche zu bringen.
In diesem Jahr jedoch schien auch diese vor Menschen zu bersten, obwohl beide Flügel geöffnet waren. Nicht nur ein großer, geschmückter Lichterbaum, der Adventskranz auf dem Taufstein und die vom Kerzenschein in warme Farben getauchte Kanzel sorgten für ein besonders festliches Ambiente. Die Bläser der Erbstromtal Musikanten, die davor platzierten Zitherspieler Horst und Andreas Seyfried mit dem singenden Wirt und seiner Tochter Katrin, zwei Gitarren- und eine Akkordeonspielerin rundeten das Bild ab. An der Orgel saß begabter Nachwuchs, der 13-jährige Silvo Slotosch.
Die »Rühler Lüter« in ihrer farbenfrohen Tracht stimmten die Kirchenbesucher gesanglich ein. Auch moderne Interpretation von Weihnacht fehlte neben den heimatverbundenen Darbietungen nicht. Dafür sorgte ein Vater mit seinen drei Buben. Früher, so meinte der Geißen-Alm-Wirt, der mit seiner sonoren Stimme seine Tochter als Sopranistin bei weihnachtlichen Liedern aus ganz Europa begleitete und gleichzeitig durchs Programm führte, habe man manchmal überlegen müssen, ob man die Kirche überhaupt noch brauche. Heute aber könnte man durchaus überlegen, ob man nicht sogar anbauen sollte.
Dabei zeigen die Bergstädter ihre ganz eigene Art, um Traditionen aufrechtzuerhalten. Allein die »Rühler Lüter« als eine der Hauptakteure der Bergweihnacht haben bereits überorts für Aufsehen gesorgt. Es sind die Nachkommen dieser sieben jungen Burschen, denen einst nachgesagt wurde, im Glockenläuten sehr kunstfertig zu sein. Die beiden Hälften der infolge einer Erbteilung zu Herzogszeiten mit zwei Kirchen ausgestatteten Bergstadt konkurrierten darin.
Als Ruhlaer Messerschmiede 1730 ins brandenburgische Eberswalde auswanderten, sollen ein paar dieser fähigen Glockenläuter mitgelaufen und bis Arnstadt gekommen sein, wo sie Quartier nahmen. Um Kost und Logis bezahlen zu können, boten sie an, kunstfertig die Glocken zu läuten. Mit Erfolg: Auf dem Heimweg, der immerhin noch gleichviel 57 Kilometer zählte, schoben sie ein Fass Bier mit nach Hause, das sie von den Arnstädtern zum Dank erhalten hatten.
Im Jahre 1969 ließen sieben Urgesteine diese Geschichte wieder aufleben. Heute pflegen deren Söhne weiter diese Tradition. Zur Rühler Bergweihnacht sorgten die sieben für den lyrischen Teil des Abends und trugen Ruhlaer Schnorren und Lieder vor.
Als ein besonderer Höhepunkt sollte aber auch das von Katrin Koch gesungene »Ave Maria« in Begleitung des jungen Organisten und das Lied »Ich steh an deiner Krippen hier«, das Pfarrer Reuther als Solist darbrachte, nicht unerwähnt bleiben. Die Kollekte, die zur Bergweihnacht eingesammelt wurde, dient unter anderem der Anschaffung neuer Glocken, denn die heute in einem Glockenhaus neben der Winkelkirche auf dem angrenzenden Friedhof untergebrachten erzeugen nicht mehr den Wohlklang, für den sie einst berühmt waren.
Das ursprüngliche Bronzegeläut war dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen und später durch Stahlgussglocken ersetzt worden. Und an denen nagt inzwischen auch schon kräftig der Zahn der Zeit.
Autor:Adrienne Uebbing |
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