Electio Borussorum
Leberecht Gottlieb (Teil 108)

2Bilder

108. Kapitel, in dem uns Leberecht Gottlieb als Komponist eines kleinen Singspiels vorgezeigt wird, wir ihn auf dem Weg zu dem Rosenliebhaber Pinchas begleiten und dabei mit dem Libretto des Mini-Oratoriums ELECTIO BORUSSORUM bekannt gemacht werden.

In Brandenburg, dem Lande des guten alten Preußenkönigs Friedrich II., müssen von Zeit zu Zeit die alten Herrscher neu bestätigt - oder andere, frische Häupter unter die Last der Krone gewählt werden. Bei solcher Aktion kann sich der  bisher amtierende König durch das Volk bestätigen lassen - oder aber sein Knie vor dem neuen Herrscher beugen. Alle fünf Jahre finden diese Spiele statt - dann steigt vom höchsten Berge Brandenburgs, dem Kutschenberg im Oberspreewald, das sogenannte Staatsmonster herab und fordert sowohl Untertanen als auch Obrigkeit auf, ihm zu Ehren ein Wahlfest auszurichten. Das Ungeheuer hat in anderen Ländern andere Namen - die Brandenburger nennen das ihrige Kasulke, den Schrecklichen. In Sachsen ruft man es den scheußlichen Zschischang und die Thüringer nennen das Vieh den verruchten Volkenau. Alle drei Monstren sind mit quasimagischen Fähigkeiten ausgestattet und werden zur Gattung der Plerumqualia Democraticae Monstrarum (PDM) gezählt. Forderungen der PDM-Bestien wird niemand ungestraft entrinnen.

Das Drama, welches sich alle fünf Jahre vollzieht, besteht darin, dass der mündige Bürger eine dunkelfarbige und eine helle Kugel erhält. In den Staatsforen (Borussorum, Saxonum, und Thuringorum) werden alsbald große farbige Krüge aufgestellt. Ein schwarzer Krug, ein blauer, ein roter, ein rosaner ein grüner, ein gelber und einer mit der Farbe Magenta angemalter Krug stehen nebeneinander. In diese sieben Krüge muss der untertänige Bürger Kugeln einwerfen. Wessen Partei am Ende die meisten hellfarbenen Kugeln im Kruge erhalten hat, darf den König stellen. Wer auf diese Art zum König gewählt worden ist, muss dann für fünf Jahre das Joch der Macht tragen und die Geschicke des Landes zu lenken versuchen und beides wohl oder übel ertragen.
Noch was - man kann entweder keine, eine oder alle beiden Kugeln in einen oder verschiedene Krüge einwerfen. Hat eine Königspartei nur schwarze Kugeln errungen, dann darf sie nicht den König geben. Hat eine viele weiße Kugeln - dann bitteschön ja! Weiße Kugeln und schwarze Kugeln in ein und demselben Krug heben einander übrigens auf. Hat jemand gar keine Kugeln, ist er dann König, wenn die anderen nur schwarze Kugeln vorzeigen können. Haben zwei Kandidaten die gleiche Anzahl von hellen oder beide gar keine Kugeln und die anderen weniger helle oder nur schwarze, entscheidet das Monster vom Berge Kasulke der Schreckliche - indem es einen der Kandidaten frisst. Und der übriggebliebene Kandidat ist dann automatisch König.

Der Hauptreiz des Spieles besteht aber darin, dass sich die Bürger vorher darüber heimlich verständigen, wem von Zweien sie die gleiche Anzahl von weißen Kugeln zuschanzen, damit das Monster einen von beiden verzehren wird. Die nicht verwendeten Kugeln dürfen die Bürger übrigens behalten. Sie eignen sich für häusliche Gesellschaftsspiele oder können auch für allerlei zweckhafte Tätigkeiten in Hof und Garten verwandt werden. Hört nun von einem dieser Festspiele - und wie sich dasselbe zugetragen hat im brandenburgischen Lande:

der alte König Diethelm sitzt in seinem Garten unter einer großen Kiefer. Es erklingt leise Musik, die an das Largo aus Händels Oper Xerxes erinnert - hier zu hören:
„Ach - ihr zarten und schönen Nadeln
meiner so geliebten Föhre.
Möge euch das lästige Schicksal verschonen.
Donner, Blitze und Unwetter
sollen nie den teuren Frieden uns stören.
Nie gelinge es dem Sturmhauch,
euch garstig zu entweihen.
Denn im Schemen
eueres Schattens
ruhe ich gern.”

Hofschranze (eilt herbei):
Edler Gebieter, wisset, dass in dreien Tagen Wahltag ist.
Und die Königswürde gilt es wieder zu erringen.

Chor:
Herzliebster König, was ist nun zu schaffen,
daß man im Krug nur helle Kugeln findet?
Und in den Krügen deiner Feinde dunkle -
rate, befiehl uns!

Rezitativ:
Die Schranzen und die Schergen aber alle
versammleten sich unten in dem Hofe.
Und hielten ihren Rat,
wie sie Diethelm machten wiederum zum Könige.
Sie sprachen aber:

Chor:
Ja nicht, dass das Volk einen anderen als diesen wählete!
Da wär es aus mit allen Privilegien - kein Geld mehr flöss’ in unsre Kassen,
kein Amt mehr, dass uns bliebe. Arm und düpiert -müssten wir reihen uns bei jenen ein,
die an der Pforte steh’n zu Arbeitsamt und Jobcentern?

Rezitativ:
Da es nun Abend ward des Tages vor dem Wahlfest,
schlichen sie hin und krochen eifrig vor den Menschen
und täten so, als ob sie Helfen woll’n
sie lobten drum das Wahlvolk und sie sprachen:

Chor:
Nicht diesem blauen Krug gebt Eure weißen Kugeln.
Werft dunkle Bälle ein dort nur, zu hindern Hass und Hetze.
Straft die Verführer, die euch Übles wollen.
Und gebt die weißen Murmeln Diethelmen, dem guten Könige,
der weise führte uns schon durch Jahrtausende.

erster Untertan (zu seinem Nachbarn):
Du lieber Nachbar du,
schau, wie sie töricht mich beschwatzen wollen.
Daß Mann und Weib
nicht eignem Willen folgen sollen.
Doch darf das Grab dem Lande nicht bereitet sein,
so werfe ich meine helle Kugel ein
bei dieses alten Königs rotem Krug.
Oh Lug, oh Trug …

anderer Untertan (zu einem Haustiere gewendet):
O Schmerz,
mir zittert das gequälte Herz,
fast sänk ich hin
und hätt’ die Kugel eingegeben
in jenen schwarzen Krug, bei meinem Leben.
Der Richter führt mich vor Gericht,
wenn ich nicht tu, wie mein Gewissen ficht.
Hinfort, aus meinem Haus und Kopf,
ihr bösen Wichte.
Ich weiß ja, was ich will.
Macht es mir nicht zu Nichte.
Ich wähl den schwarzen Krug
und nicht den Roten.
Bin keiner nicht
von diesen anderen Idioten.
Ich bleibe meinen Werten treu -
trotz eurem bettelnden Geschrei.

Rezitativ:
Und als er also redete,
siehe, da kamen welche
und zeichnen sie es auf
in Büchern und Dateien.
Und nahten sich mit allerlei Verführung
und Geschenken
und zwangen viele so,
dem schwarzen und dem grünen Krug
zu geben keine hellen Kugeln.

Diener des grünen Kruges (mit törichtem Augenaufschlag):
Wiewohl mein Herz in Tränen schwimmt,
und meine Hoffnung von mir Abschied nimmt,
so macht mich doch das Wissen hocherfreut,
das ich verderb’ mich nicht umsonst, o Kostbarkeit!
Vermach ich doch die Kugel meiner Hände
dem roten Könige als Opferspende.
Und bringe dar die gute Tat allein
Diethelmen jetzt -
er soll mein König sein.

Rezitativ:
Am Abend als es kühler wurde,
da trugen sie die Krüge in das Richthaus
und bereiteten die Tische für die Zählung.
Es wurden ausgegossen alle, alle -
und war ein eifrig emsig Klauben.
Und siehe, was die Diener wollten planen,
das war der argen Tat gelungen.
Also, dass nur der Rote und der Blaue
war’n angefüllt am Ende jenes Tages
hin bis zum Rande.

Doch in dem gelben fand sich nichts -
und in dem rosanen noch weniger.
Beim grünen Topfe war der Boden noch zu sehen.
Auch jener schwarze war gefüllt
kaum bis zum Viertel.

Chor:
Wir setzen uns andächtig nieder
und warten, was der rote König raten wird.
Doch Schrecken fährt uns in die Glieder,
denn auf dem Schlosse Diethelms bleibt es still.
Nicht das der hohe Rat in Ängsten selber bebt
und nimmer weiß, was wäre jetzt zu tun.
Denn seht - die Blauen triumphieren
und haben viele Kugeln eingebracht.
Ohn’ fremde Hilfe kann Herr Diethelm nicht regieren
Seid auf der Wacht. Oh fürchterliche Nacht.
Wen wird ihm helfen bei den Statsgeschäften?

Rezitativ:
Da sprachen alle Grünen sämtlich zueinander:

Menge der Grünen:
Ach, wir hatten ja gedacht,
daß es wohl besser wäre, wenn
wir unsre eignen Leute gar nicht wähleten
und schenkten diesem fremden Roten unsre grünen Stimmen?
Denn dieser Blaue dort, er sprach und sang
seit Monaten:

Blauer König:
Ich will in kurzer Zeit hier alles ändern tun!
Und will das Klima lassen wie es war.
Die bunten Wimpel reiß ich ab vom Fahnenmast.
Und will die Kindlein wieder lesen lehren und die Zahl zu wissen.
Und an den Grenzen sollen harte Leute steh’n.
Die Autos sollen rollen mit Verbrennerkraft.
Und Mutter sei nur Mutter noch,
wie auch der Vater Vater bleibt dem Kind, das er gezeugt.

Menge  der Grünen:
Da dachten wir,
das wird noch schlimmer sein,
als es vorher schon immer war.
Wie stehen wir nun da -
ganz ohne eigene Partei
und halten in den Händen schwarze Kugeln nur,
weil wir uns selber nicht mehr wählen wollten,
und unsre Kugeln Diethelm in den Krug,
den rotgefärbten, warfen.

Deus Ex Machina aus dem Himmel:
Am Abend da es kühle war,
da schien der Fall ganz offenbar,
am Abend schlugen sie die Augen nieder.
Doch seht, ich nahe gnädig mich euch wieder:
Und trag ein Ölblatt in dem Munde,
welch Glück, das ist des roten Königs Stunde!

Der Friedensschluß mit Putin wird gemacht;
das hat das Bündnis meines Namens wohl vollbracht:
Magentafarben nahe ich, die Rosa Göttin euch zum Heile zu.
Und Friedrichs Brandenburg, es kömmt durch mich zur Ruh.
Ach, lieber Diethelm, bete du.
Geh, lasse mich mit dir den Staat belenken,
Magenta-Rot! Ein seliges Gedenken.

Ich komm' zu dir, wie in den alten Dramen
ex machina die Gottheit immer kam.
Du weißt, ich bin die schönste aller Damen
wie einer schon für das Theater schrieb:
„Das ewig Weibliche zieht uns hinan.”
Reich mir die Hand - und hab mich lieb.

Danach war ein Weib in pinkmagentafarbenem Etuikleide aus den Wolken herabgeschwebt und hatte König Diethelm die Hand gereicht, welche dieser ergriff; der Vorhang fiel und das Singspiel war zu Ende.

…so hatte es Leberecht Gottlieb darstellen wollen. Diese sonderbare Wahl, welche Brandenburg am 23. September hingelegt hatte, die war damit gemeint gewesen. Eben hatte er davon geträumt und alles noch einmal gesehen - als ob er selber leibhaftig in einem Theater gesessen. Der Sieg der Roten hatte zur Folge gehabt, dass man regieren nur mit den Magentafarbenen gemeinsam können würde. Denn mit den Blauen wollte man nicht. Oder dachte, dieses nicht wollen zu dürfen. Es war schon ein rechtes Kreuz!

Nun - Leberecht war inzwischen vor der Tür der Gärtnerei des sonderbaren Maulbeerbaum-Züchters Herrn Pinchas angekommen. Die Tür war jedoch verschlossen. Ein Schild hing an dem Schlüssel, der im Schloss steckte. Auf dem Schild stand: „Komme gleich zurück. Pinchas“

Leberecht setzte sich auf den Stuhl, der in der Nähe der Tür herumstand und summte die Melodie des Schlusses der Johannespassion vor sich hin. Denn er fand, schwermütig Musik passe jetzt am besten zu seiner Stimmung. 

Schlusschor aus der Johannespassion
(Ruhet wohl, ihr heiligen Gebeine)

Da aber rappelte es am Ende des langen Klosterganges, eine Tür ging auf und schlug wieder zu. Pinchas näherte sich seinem Gartenreich und sprach Leberecht an: „Johannespassion?“ Er schloss die Tür zur Gärtnerei auf und bedeutete Leberechten, ihm zu folgen. Rosenduft und der Geruch von frischen Maulbeerbaumfrüchten erfüllte den Raum …

alles andere von Leberecht Gottlieb hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

16 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.