Känguru
Geburtstagsgabe (30)
Abend war es inzwischen geworden, schon sank die Sonne im Westen zur Erde. Friedlich lagen die Tiere im Kreise, manche träumten schon, andere käuten von dem, was am Tag sie genossen, wieder. Es hatte das etwas vom Paradiese, als alles in Ordnung gewesen noch war - und der denkende Mensch den Irrtum nicht kannte, es ließe durch Denken sich alles gut lenken. Das Känguru seufzte und schrieb uns diese Zeilen:
Ich bin nur ein einfaches australisches Känguru. Aus dem fernen Erdteil Down-Under kam ich zu Euch hierher. Luther kannte mich nicht und ich ihn deshalb auch nicht. Australien wurde erst viel später entdeckt als die Reformation - und von britischen Häftlingen kolonisiert. Trotzdem wird mir die Ehre zuteil, in meinem Beutel mehr als zwanzig Briefe von Tieren zu tragen, die an Menschen gerichtet sind, welche Luther verehren, oder seiner zumindest still gedenken möchten.
Eine gewisse Traurigkeit verspüre ich schon, weil ich nicht eher gelebt habe. Die Geschichten vom kleinen Jesusjungen haben es mir sehr angetan. Ich muss immer weinen, wenn ich höre, dass er kein Bettchen hatte, sondern nur eine harte Krippe mit sperrigem Stroh. Und da hat der Luther so schön gedichtet:
»Ach Herr, Du Schöpfer aller Ding / was bist Du worden so gering / dass Du da liegst auf dürrem Gras / davon ein Rind und Esel aß.«
Ich hätte dem kleinen Gottessohn sofort meinen Beutel angeboten. Es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn da was Lebendiges drin liegt. Ein irrsinnig angenehmes Gefühl. Da braucht man nichts anderes mehr. Keine Leistung und auch keine Gnade. Nichts. Solches zu wissen - wahrscheinlich ist das überhaupt die Gnade an sich. Was anders sollte denn Gnade sonst sein? Als dass man Jesus in seinem Beutel hat? Das ist Gnade. Und das ist meine Botschaft als australisches Känguru an die postmodernen Menschenkinder - mit und ohne Beutel.
Makropodia - das Känguru
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