Gott geschwärzt
Kommentar von Willi Wild
Die Aufarbeitung des Archivs der DDR-Staatssicherheit scheint eine unendliche Aufgabe. In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung kritisiert Jochen Staadt, Projektleiter im Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin, die Auskunftsbürokratie und Archivverwaltung der Stasi-Unterlagenbehörde. Auch 28 Jahre nach dem Mauerfall seien die Unterlagen noch nicht vollständig erschlossen und zugänglich gemacht.
Sachbearbeitern, die meist keine ausgebildeten Archivare seien, fehle häufig die Sachkunde über die Zusammenhänge. In seinem Erfahrungsbericht beschreibt er unter anderem sinnlose Schwärzungen, beispielsweise von Geburtsdaten bekannter Politiker, Hinweise auf Autokennzeichen oder die Anschrift der Bundespressekonferenz. Sogar der Name einer Hauskatze soll dem Schwarzstift zum Opfer gefallen sein.
Kurios: Auch Gott ist in einem Dokument unkenntlich gemacht. Ein MfS-Spitzel schrieb 1981 in einem Bericht über eine junge Christin: »X arbeitet z. Zt. in Klein Machnow als Helferin in einem Heim für Behinderte. Sie fühlt sich von Z dahin berufen«, zitiert Staadt aus der Akte. Dass die Berufene sich dabei auf Gott berief, wurde anonymisiert. Vermutlich hielt der Bearbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde andernfalls die Wahrung des göttlichen Persönlichkeitsrechts für gefährdet. Da wundert es nicht, dass die herausgegebenen Kopien von MfS-Unterlagen oft nur schwer oder gar nicht verständlich sind.
Ein Schlussstrich oder eine schnelle Auflösung der Stasi-Unterlagenbehörde sind keine Lösung. Vielleicht sollte, so wie Staadt das empfiehlt, über eine gemeinsame, fach- und sachkundige Aufarbeitung mit Bundes- und Landesarchiven nachgedacht werden.
Autor:Online-Redaktion |
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