"Neutrale Schule"
Nur Empörung reicht nicht
Von Harald Krille
Die Empörung ist groß: Nachdem die AfD-Fraktion der Hamburger Bürgerschaft auf ihrer Internetseite ein Portal "Neutrale Schule" geschaltet hat und andere Landesverbände ähnliches planen, reißt die Flut von Kritik nicht ab. "Aus aktuellem Anlass wenden wir uns entschieden gegen Internetportale, in denen Schülerinnen und Schüler ihre Lehrkräfte wegen vermeintlicher parteipolitischer Einflussnahme denunzieren sollen", sagte der amtierende Präsident der Kultusministerkonferenz, Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) am vergangenen Donnerstag in Berlin. Holter befürchtet eine "Vergiftung des Schulklimas".
Ähnlich äußert sich der leitende Bremer Theologe Renke Brahms: "Ich nenne das 'denunzieren' und finde das unerhört", erklärt er auf der Internetseite der Bremer Evangelischen Kirche. Menschen an den Pranger zu stellen erinnere ihn an Zeiten der Diktaturen wie im Nationalsozialismus mit ihren Blockwarten oder der in der DDR mit ihrem Stasi-Spitzel-System, fährt Brahms, der der zugleich Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist, fort.
Wer sich allerdings das umstrittene Hamburger AfD-Portal genauer anschaut, kann keinen "Pranger" mit Namen von missliebigen Lehrern entdecken. Es geht der AfD-Fraktion nach eigener Aussage um die Wahrung der gesetzlich gebotenen Neutralitätspflicht von Lehrern und Schule. Diese verbietet eine parteipolitische Einflussnahme auf die Kinder ebenso wie abwertende und diskriminierende Äußerungen über Parteien und Gruppen.
Auf der umstrittenen Plattform werden Schüler, Eltern und auch Lehrer ermutigt, bei vermuteten Verstößen gegen das Neutralitätsgebot das Gespräch mit dem zuständigen Fachlehrer oder einem Mitglied der Schulleitung zu suchen. Für den Fall, dass diese Gespräche ergebnislos verlaufen oder Schüler bzw. Eltern Nachteile aus solchen Gesprächen befürchten, bietet man an, sich an die AfD zu wenden. In begründeten Verdachtsfällen wolle man dann die Schulaufsicht einschalten.
Nun muss man die AfD sicher nicht mögen und auch Lehrer haben grundsätzlich das Recht, eine politische Meinung zu haben. Aber wenn es stimmt, was die Hamburger AfD behauptet, dass Lehrer im "FCK AfD"-T-Shirt vor die Schüler getreten sind oder in Schulen zu Demonstrationen gegen AfD-Veranstaltungen aufgerufen wurde, dann sind dies wohl Grenzüberschreitungen. Man stelle sich vor, ein Lehrer würde im "Merkel muss weg"-Shirt unterrichten oder in Schulen würden Aufrufe zur Demonstration gegen Ausländer verteilt ...
"Politische Bildung ist in unseren Schulen heute wichtiger denn je", betont Marco Eberl, Vorstandvorsitzender der Schulstiftung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Dazu brauche es die Debatte und die "politische Meinung von Schülerinnen und Schülern und auch von Lehrern". Insofern, so Eberl, sei der Vorstoß der AfD "ein Angriff auf eine Debattenkultur und die Kernkompetenz der Schulen". Denn diese Debatten brauchten Offenheit und Vertrauen.
Für Pfarrer Michael Bartsch, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Johannes-Schulstiftung in Magdeburg, ist die aktuelle Aufregung um die Hamburger AfD-Aktion allerdings auch ein Zeichen für die von ihm schon länger beobachtete Unfähigkeit zur sachlichen Auseinandersetzung. "Auch die vermeintlich 'Guten' hören nicht mehr zu", so seine Bilanz des gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurses. "Wir können nicht 25 Prozent der Bevölkerung von vornherein vorverurteilen und stigmatisieren", sagt Bartsch und fordert stattdessen eine Versachlichung und vor allem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD.
Eine Hilfe dazu bietet die Kultusministerkonferenz selbst. Auf ihrer jüngsten Tagung aktualisierte sie ihre Empfehlungen "Demokratie und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule". Darin heißt es: "Eine besondere Herausforderung für die Schule sind ausgrenzende, menschenverachtende und antidemokratische Grundpositionen. Zudem gilt es, jedem Geschichtsrevisionismus entgegenzutreten und sich aktiv mit vereinfachenden Gesellschaftsbildern auseinanderzusetzen."
Im Blick auf das Wie der Auseinandersetzung verweisen die Kultusminister auf die 1976 im sogenannten "Beutelsbacher Konsens" verankerten Richtlinien. Neben dem Verbot von Indoktrination gelte der Grundsatz, "was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen". Eine Grenze finde diese Kontroverse nur, "wenn Schülerinnen und Schüler in einer Diskussion Standpunkte äußern, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den Menschenrechten nicht vereinbar sind".
Das erfordert freilich Arbeit: "Werden in der Schule kontroverse Thematiken behandelt, haben Lehrkräfte die anspruchsvolle Aufgabe, den Unterrichtsgegenstand multiperspektivisch zu beleuchten, zu moderieren, bei Bedarf gegenzusteuern, sowie Grenzen aufzuzeigen, wenn diese überschritten werden."
Die Hamburger AfD weist übrigens auf ihrer strittigen Plattform ausdrücklich darauf hin, dass diese kontroverse und kritische Auseinandersetzung selbstverständlich auch die Positionen der AfD einschließe. Daran sollte man die Partei dann auch in der Praxis messen.
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