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Seufzer im Advent

Foto: ghazii – stock.adobe.com
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Vorweihnachtszeit: Advent ist im Dezember, darauf weisen ja die Christen immer hin. Also kann es doch jetzt losgehen.

Von Kathrin Oxen
Die Weihnachtsfeier in der Schule machen wir gleich am 1. Dezember, denn die Adventszeit ist kurz dieses Jahr und je mehr es auf Weihnachten zugeht, desto hektischer wird es doch. Ich finde mich wie vereinbart zu zwei vorweihnachtlichen Stunden in der Schule ein. Es gibt Kaffee, Kinderpunsch und Plätzchen. Die Kinder führen ein kleines Theaterstück auf. Dann basteln wir. Aus dem CD-Spieler kommen gemischte weihnachtliche Klänge, die »Weihnachtsbäckerei«, gefolgt von einer mit erheblichem Pathos vorgetragenen Version von »Es ist ein Ros entsprungen«. Der Weihnachtsmann kommt und holt für jedes Kind ein Geschenk aus seinem Sack.
Später gehen wir mit unserer Bastelarbeit nach Hause. Es ist so eine Art Adventskranz aus Buntpapier zum Aufhängen geworden. Die Plätzchen hätten sehr gut geschmeckt, sagt meine Tochter. Der Kranz kommt bei uns ins Fenster. Advent ist im Dezember und heißt Plätzchen, Dekoration, stimmungsvolle Musik, die Freude der Kinder. Das ist bei mir nicht anders als bei allen anderen. Ich höre »von Jesse kam die Art« und weiß sogar, was das bedeutet. Aber das bleibt trotzdem Hintergrundmusik zum Kaffee.
Von der »Wurzel Jesse« hat schon der Prophet Jesaja gesprochen und von Jesaja kommt auch der Predigttext am 2. Advent: »Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde« steht darin (Jes 63,19). Solche sind wir geworden. Und schnell wird das vor allem auf die anderen bezogen, auf die sogenannten »Konfessionslosen« oder »religiös Indifferenten«, mit denen ich bei der Weihnachtsfeier in der Schule am Kaffeetisch gesessen habe.
Aber ich bin doch auch so geworden. Christinnen und Christen und unter ihnen besonders die hauptamtlich Christlichen bereiten das Fest der Geburt Jesu Christi mit großer Routine vor. Unter allerlei Geseufze des vorweihnachtlichen Stresses wegen geht es zielstrebig auf den Heiligen Abend zu und dann wäre das für dieses Jahr auch wieder geschafft. Die Augen geradeaus! Der Blick nach oben lohnt sich nicht. Advent und Weihnachten kann man auch unter einem geschlossenen Himmel feiern.
Aber von Jesaja kommt eine andere Art: »Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab!« Erhebe dein Haupt, richte den Blick nach oben und erwarte von dort her, dass Gott noch einmal zur Welt kommt. Denn das ist am ersten Weihnachten passiert. Gott war da, unter den Menschen, und wären die Engel nicht gewesen, hätte es auch niemand bemerkt. Was wäre, wenn Gott wiederkäme und sich mit an unsere Kaffeetische setzte und in unsere Schulklassen, zu den Weihnachtsfeiern in den Betrieben käme und in die Gottesdienste? Wo wäre überhaupt Platz für Gott zwischen dem Adventskranz, den Plätzchen und den sorgfältig gefalteten Servietten?
Drei Buchstaben halten Gott einen Platz frei: »Ach«. Ein kurzer Laut nur, für Freude und Glück: »Ach, wie schön.« Und ein Seufzer, da wo die Worte fehlen: »Ach, das tut mir leid.« »Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab.« »Ach« sagen die, die sich nicht abfinden mögen mit der Wirklichkeit, die noch staunen oder etwas von Herzen bedauern können. Die sich danach sehnen, dass es einmal anders wird und nicht immer alles beim Alten bleibt, alle Jahre wieder.
Ich sitze mit all den anderen am gleichen Tisch bei der Weihnachtsfeier in der Schule. Und ich weiß, dass sie alle wie ich ihr »Ach« haben, ihr Glück und ihren Schmerz. Nur sagen sie nichts darüber, sondern nehmen lieber noch einen Keks. Vielleicht ist dieses »Ach« tatsächlich »der Seufzer der bedrängten Kreatur«, wie Karl Marx es so klassisch formuliert hat.
Dann darf aber alles, was wir in Weihnachtsfeiern und Gottesdiensten verabreichen, kein Opium für das Christenvolk enthalten. Solcherart Plätzchen schmecken zweifellos gut und sind schnell verdaut. Aber wir Christenmenschen sind doch für andere Nahrung da, für das Seelenbrot statt für Dominosteine. Und dafür, den Hunger darauf zu wecken. Ach, könnten wir so den Advent feiern. Im Dezember und immer.

Die Autorin ist Leiterin des Zentrums für evangelische Predigtkultur in Wittenberg.

Foto: ghazii – stock.adobe.com
Autor:

Adrienne Uebbing

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