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»Kirchen sind die Seelen des Ortes«

Im deutsch-tschechischen Grenzgebiet gibt es eine Unzahl an Kirchen und Kapellen. Immer mehr präsentieren sich im schmucken Glanz, wie die Kapelle Schenkenhan bei Bad Wurzelsdorf/Kořenov im Isergebirge. | Foto: fotolia/LianeM
  • Im deutsch-tschechischen Grenzgebiet gibt es eine Unzahl an Kirchen und Kapellen. Immer mehr präsentieren sich im schmucken Glanz, wie die Kapelle Schenkenhan bei Bad Wurzelsdorf/Kořenov im Isergebirge.
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Sudetenland: Für viele der ehemals vertriebenen Deutschen sind die Kirchen im deutsch-tschechischen Grenzgebiet ein Herzensanliegen. Doch es gibt auch Tschechen, die die alten Gotteshäuser erhalten wollen – als Beitrag zur Heimatpflege.

Von Kilian Kirchgeßner

Als Alois Ehrl die Kirche von Hamry nach vielen Jahrzehnten wiedersah, stand es schlimm um sie: Katholisch war fast niemand mehr in dem Örtchen im Böhmerwald in Tschechien, die Kirche war einsturzgefährdet, so lange war sie vernachlässigt worden.
Ehrl ist katholischer Pfarrer im Ruhestand, er wurde 1945 in Hamry geboren – kurz vor der Vertreibung der Deutschen aus den einstigen Sudetengebieten. Danach lebte er mit seinen Eltern in der Gegend von Nürnberg. Als der Eiserne Vorhang fiel und er endlich wieder zurückreiste in seinen Geburtsort, setzte es sich Ehrl zum Ziel, die dortige Kirche zu retten.
Was seither passiert ist, gleicht einem Wunder: Die Kirche ist renoviert, der Ort wächst und gedeiht, und rund um den zentralen Platz sind inzwischen alle Häuser herausgeputzt. »Auch in einer säkularen Umgebung, wo es nur wenige Christen gibt, ist die Kirche so etwas wie die Seele eines Orts«, sagt Alois Ehrl. »Das darf man nicht unterschätzen.«
Im tschechischen Grenzgebiet, aus dem die Sudetendeutschen vertrieben wurden, gibt es Hunderte alter Kirchen, Kapellen und Friedhöfe – und nicht in allen Fällen gibt es ein Happy End wie in Hamry. Viele Sakraldenkmäler müssten dringend saniert werden, aber es kümmert sich niemand darum. Tschechien ist ein wenig religiöses Land: Bei der letzten Volkszählung von 2011 bekannten sich nur knapp zwölf Prozent zu einer christlichen Kirche, die meisten von ihnen zur römisch-katholischen.
»Der Blick auf das Grenzland ändert sich aber derzeit radikal«, sagt Jakub Ded, Vorsitzender des tschechischen Denkmalpflege-Vereins Omnium: »Lange haben die Tschechen die alten Denkmäler für ein Problem der Deutschen gehalten. Jetzt nehmen sie sich der Aufgaben selbst an.«
Tatsächlich haben noch in den 90er Jahren vor allem Sudetendeutsche die Kirchen renoviert. Es waren Leute wie Alois Ehrl, der mit einem Verein namens »Glaube und Heimat« viele Millionen Spendengelder sammelte und damit die heruntergekommenen Denkmäler rettete.
Heute sind es vor allem Initiativen von Tschechen, die solche Kirchen erhalten wollen – nicht wegen ihrer religiösen Bedeutung, sondern ganz säkular als Beitrag zur Heimatpflege. »Die Menschen, die nach der Vertreibung der Sudetendeutschen in der Region angesiedelt worden sind, hatten lange keine Wurzeln geschlagen«, sagt Jakub Ded.
Das ändere sich jetzt: »Man sagt immer so schön, dass die Menschen einen Ort als ›ihren Ort‹ wahrnehmen, sobald sie dort jemanden auf dem Friedhof begraben haben. Genau darin lag lange Jahre das Problem: Wir brauchen erst die zweite, dritte Generation, bis sich jemand der Denkmäler annimmt.« Das sei nun der Fall – genau in dem Moment, in dem jene Generation von Sudetendeutschen allmählich stirbt, die die Vertreibung noch selbst erlebt hat.
Neu sind indes die Verwendungen für die Gotteshäuser, die nicht mehr zu einer intakten Gemeinde gehören: In Cesky Krumlov etwa wurde ein altes Kloster zur Heimat eines Theater-Ensembles, das dort probt und Aufführungen anbietet – ein seltenes Beispiel für eine gelungene Nutzung.
»Alle Initiativen versuchen ansonsten im Wesentlichen das Gleiche«, bilanziert Jakub Ded: »Einmal pro Jahr veranstalten sie einen großen Gottesdienst, ansonsten Konzerte und Ausstellungen. Das ist ein wenig problematisch: Wir wissen inzwischen, wie man Kirchen renoviert und auch, wo man Geld dafür bekommt – aber wir wissen nicht, wie man sie danach verwendet.« Denn trotz solcher Programmpunkte blieben die Gotteshäuser eben doch die längste Zeit des Jahres ungenutzt und verschlossen.
Eine besondere Bedeutung wächst den Kirchen trotz aller Probleme zu: Sie würden zu einem Ort des deutsch-tschechischen Austauschs –
und der sei gerade im einstigen Sudetengebiet von großer Bedeutung, sagt Zuzana Finger. Sie ist Denkmalpflegerin bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Für die Sudetendeutschen seien die Kirchen oft ein Herzensanliegen, weil sie das einzige Erinnerungszeichen an das untergegangene Gemeindeleben seien.
»Aber aus der ursprünglich nostalgischen Beziehung sind inzwischen Projektpartnerschaften entstanden: Die Tschechen und die Deutschen arbeiten zusammen. Darüber bleiben beide Seiten auch lange nach der Renovierung miteinander verbunden – es entsteht etwas Neues, das es vorher nicht gab«, sagt sie.
Das spürt auch Alois Ehrl immer wieder, der die Renovierung der Kirche in seinem Heimatort Hamry initiiert hatte. Nicht nur, dass die herausgeputzte Kirche das ganze Dorf aufwerte und die Renovierung von Nachbarhäusern zur Folge gehabt habe – »wir haben im Mikrokosmos des kleinen Böhmerwald-Ortes etwas ausgelöst«, ist er sich sicher. Die Tschechen grillen für die früheren deutschen Bewohner, sie feiern gemeinsam Feste. Ehrls Bilanz: »Die Kirche ist ein gutes Medium, um etwas Positives anzustoßen in der Verständigung von zwei Nachbarvölkern.«

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