Ein anderes Bild vom Islam
»Schützt den Islam vor den Fanatikern, sonst müsst ihr die Welt vor dem Islam schützen.« Dieses türkische Sprichwort aus dem 13. Jahrhundert scheint mittlerweile Wahrheit geworden zu sein.
Von Diana Steinbauer
Terror, Gewaltakte, Krieg im Nahen Osten: Oftmals wird der Islam damit in einem Atemzug genannt. Eine Religion, die gewalttätig und wie ein Bollwerk erscheint, mit unzähligen Anhängern, die ihre Glaubenslehren unter allen Umständen verteidigen und weiterverbreiten. Auch in Deutschland.
Der Religions- und Politikwissenschaftler Michael Blume zeichnet ein ganz anderes Bild des Islams. Sein Buch »Islam in der Krise« beschreibt eine zutiefst verunsicherte und gespaltene Religionsgemeinschaft. Radikalität, so schreibt Blume, sei nur eine und eine sehr kleine Facette des muslimischen Glaubens. Blume, selbst mit einer Muslimin verheiratet, erzählt detailliert vom stillen Rückzug vieler, die mit den Lehren ihrer Religion nichts mehr anfangen können. Der Grundstock des Glaubens weggebrochen, Rituale, die sinnentleert scheinen, Gelehrte, mit denen ein kritischer Austausch unmöglich ist. Das schafft Distanz und die Abkehr von der Religion der Väter.
Während getaufte Christen beim Standesamt erfasst sind, geht man bei Menschen mit arabischem Hintergrund stillschweigend davon aus, dass jeder praktizierender Muslim ist. Es gibt keine Erhebung darüber, wer aktiv seinen Glauben lebt und wer nicht. Zahlen? Fehl-
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Blume, der sich intensiv mit der muslimischen Welt der Gegenwart auseinandergesetzt und zahlreiche Gespräche geführt hat, ist sicher: Es gibt massive Säkularisierungsprozesse in der islamischen Welt.
Diese Krise des Islams ist laut Blu-
me kein neuerlicher Prozess. Während der Islam im Mittelalter als aufgeschlossene Religion galt, die antikes Wissen bewahrte und Forschung auf allen Gebieten ermöglichte, so stellte sich mit der Verweigerung des Buchdrucks eine Bildungskrise ein, die bis heute nachwirke. Öl hält viele Staaten wirtschaftlich am Leben, Demokratie wird unterdrückt. In diesem Klima gedeihen Verschwörungstheorien, die Radikalen den Boden bereiten – im Nahen Osten, aber auch in Europa.
Mit Blumes Buch gewinnt der Leser einen ganz neuen Blick auf die oft unbekannte Religion des Islams. Blume führt Gründe für die Konflikte der Kulturen auf und fordert auf, gemeinsam Lösungswege zu finden.
Von vielen Menschen muslimischen Glaubens wird ihm das gedankt. Kritik an seinem Buch kommt, laut Blume, eher aus der rechtsextremen Ecke.
Diana Steinbauer
Blume, Michael: Islam in der Krise. Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug, Patmos Verlag,
192 S., ISBN 978-3-8436-0956-2, 19 Euro
Bezug über den Buchhandel oder den Bestellservice Ihrer Kirchenzeitung: Telefon (0 36 43) 24 61 61
Autor:Adrienne Uebbing |
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