Kriegsdienst, um das Böse einzudämmen
Glaubenskurs: Martin Luthers Schrift »Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können«
Von Peter Zimmerling
Die Frage danach, ob Christen mit gutem Gewissen Wehrdienst leisten und in der Folge auch an einem Krieg aktiv teilnehmen können, hat schon die frühe Christenheit umgetrieben. Das beweist die Tatsache, dass in Lukas 3,14 die Frage der Soldaten an Johannes den Täufer überliefert wird: »Was sollen denn wir tun?« Seine Antwort lautet: »Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!« Dahinter steht die Forderung nach Humanisierung des Krieges, nicht aber nach seiner Abschaffung. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Problem des Wehrdienstes und der Kriegsteilnahme von Christen in beiden deutschen Staaten äußerst kontrovers diskutiert worden. Angesichts der furchtbaren Gräuel des Zweiten Weltkriegs und der vielen Opfer aufgrund des Abwurfs der ersten Atombomben auf Japan durchzog gerade die evangelische Kirche eine breite pazifistische Strömung. In der Bundesrepublik lautete schließlich die kirchenamtliche Auffassung, dass der Dienst mit und ohne Waffe – also in der Bundeswehr und im Zivildienst – gleichermaßen Dienst für den Frieden sei.
Martin Luthers Schrift »Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können« erschien Ende 1526. Es handelt sich dabei – wie viele der einflussreichsten Schriften des Reformators – um eine Gelegenheitsschrift. Er schrieb sie auf Bitten des Ritters Assa von Kram, eines der Feldobersten des sächsischen Kurfürsten, offensichtlich ein frommer Mann. Dessen Gewissen war durch die Teilnahme an der Niederschlagung des Bauernkrieges mit seinen Blutgerichten verunsichert worden. In dem kleinen, äußerst gehaltvollen Büchlein skizziert Luther seine Stellung zum Wehrdienst, zum Krieg und zum Widerstandsrecht. Er knüpft dabei an die Schrift »Von
weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei« von 1523 an. Mit dieser zusammen hat das Buch über die Kriegsleute in den folgenden Jahrhunderten die politische Ethik im Luthertum maßgeblich bestimmt. Trotz der mehrfachen Veränderung der Regierungsform auf dem Weg zur freiheitlichen Demokratie sind Luthers Überlegungen erstaunlicherweise noch heute aktuell. Der Grund dafür sind ihre seelsorgerliche Grundorientierung und die biblische Begründung.
Luther geht davon aus, dass Kriegsstand, -amt und -werk ein göttliches Werk sind. Daher vertragen sich Soldatsein und Kriegführen mit dem Glauben an Jesus Christus. Weil Gott zweierlei Regimente unter den Menschen aufgerichtet hat, unterscheidet der Reformator zwischen der Person des Christen und seinem Amt als Soldat. In der christlichen Gemeinde regiert Gott mit dem Wort, um Menschen freiwillig zum Glauben und zum ewigen Leben zu führen. In der Welt aber herrscht er durch das Schwert, um den Frieden unter den Menschen zu erhalten. Dahinter verbirgt sich Luthers Menschenbild: Jeder Mensch, selbst der religiöse, bleibt bis an sein Lebensende zugleich Gerechter und Sünder. Bestünde die Menschheit allein aus guten Menschen, wäre »Kriegführen die größte Plage auf Erden«. Da dem nicht so ist, kann ein Krieg notwendig sein, um das Böse einzudämmen. Trotz grundsätzlicher Bejahung des Krieges warnt Luther gleichzeitig eindringlich vor seinen Gefahren. Darum ist nur ein Verteidigungskrieg erlaubt – und auch der sollte nur mit Furcht vor Gott geführt werden. Luther ist sogar überzeugt, dass ein Soldat sich dem Kriegführen entziehen muss, wenn er erkennt, dass sein Kriegsherr Unrecht hat. Dann gilt für ihn das Gebot: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apostelgeschichte 5,29).
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Luthers Meinung angesichts der Wirklichkeit am Ende humaner ist als ein Pazifismus, der sich um eines Prinzips willen davor scheut, Verantwortung zugunsten des tödlich bedrohten Nächsten zu übernehmen.
Der Autor ist Professor für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Seelsorge und Spiritualität an der Universität Leipzig.
Autor:Online-Redaktion |
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