Manchmal spielt der Himmel passgenau.
LUX IN TENEBRIS
Im April 2016 waren wir mit dem Musiker und Kunsthistoriker Helge Burggrabe zu einem Seminar in Chartres.
Unser Thema war die dortige Kathedrale Notre-Dame, der wir uns in allen Facetten gewidmet haben. Die Tage hatten ein festes, geistliches Gerüst mit Gebet und Gesang, schweigen und reden, und es war ein ganz wunder-bares Erlebnis, das sich bleibend in unsere Seelen eingegraben hat. Schon damals wies Burggrabe uns darauf hin, dass im März 2017 im Mariendom von Hildesheim sein Oratorium "LUX IN TENEBRIS" zur Aufführung kommen werde, das er in Erinnerung an die Zerstörung Hildesheims vom 22. März 1945 geschrieben habe, bei
der innerhalb von 15 Minuten 70% der Gebäude der Stadt in Schutt und Asche gebombt worden waren.
Meine Frau Elke Christine hatte mir dann zu Weihnachten Karten für die mittlere der drei Aufführungen ge-schenkt und uns eine Übernachtung gebucht. Wir hatten die Fahrt gut bewältigt das Hotel aufgesucht, etwas
gegessen und getrunken und uns dann in aller Ruhe zum Ort der Aufführung begeben. Wir fanden unsere Plätze im Seitenschiff des Domes. Meine Frau widmete sich dem Programm. Ich schaute mich ein wenig um,
betrachtete den Raum, die großen Radleuchter, den Chor und die Krypta, um schließlich im "Raum der Stille" ein Gebet zu sprechen. Während ich in Richtung Altar gegangen war, hatte ich gehört, wie die Tür sich leise schloss. Als ich dann später den Raum verlassen wollte, ließ sich die Tür nicht wieder öffnen. "Bleib ruhig, Martin!", sagte ich zu mir. "Du wirst hier schon wieder rauskommen!" Der Raum hatte noch weitere Türen, aber auch die waren alle verschlossen. Ich schlug mit der Faust gegen die massive Holztür. Nichts. Ich schlug Sechzehntel mit der Klinke. Nichts. Das konnte ja heiter werden. Ich schaute auf meine Uhr. Noch 10 Minuten bis zur Aufführung. Handy? Zu Hause wie immer. Vielleicht mit Gewalt? Als ich kräftig zog, wäre mir eine Frau mittleren Alters fast in die Arme gefallen. Sie hatte mein Klopfen gehört und von außen geöffnet in dem Moment, als ich an der inneren Klinke zog. "Da habe ich Sie wohl gerettet?" fragte sie. "Ja", sage ich, "Danke! Die Tür ließ sich von innen nicht öffnen! Ein gutes Oratorium wünsche ich Ihnen!" "Danke, lieber Gott!" denke ich, gehe zu unserem Platz und setze mich neben meine Frau. Nun konnte das Oratorium beginnen. Der Dom hatte sich bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf dem Programm lese ich: Helge Burggrabe, LUX IN TENEBRIS (Licht in Finsternis) Oratorium aus Klang, Text und Licht für Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Sprechstimme, Streichquartett, Schlagwerk, Orgeln, Schola und Chören. Das Libretto stammt von Reinhard Göllner aus Hildesheim in Zusammenarbeit mit Helge Burggrabe, Fischerhude. Es orientiert sich an den Szenen der Bernward-Tür im westlichen Eingangsbereich des Domes. Biblische Texte, alte liturgische Gesänge, Gedichte (Rainer Maria Rilke, Hilde Domin, Rose Ausländer, Hildegard von Bingen, Meister Eckhart, Paul Celan, Angela Krumpen) und Texte aus der Stadtchronik bilden eine tief bewegende Einheit, teils vertont, teils rezitiert. Musikalisch sehr vielfältig und in wechselnden Besetzungen, zumeist tonal doch nicht altmodisch. Besonders eindrücklich für mich: die Zerstörung der Stadt, der zärtlich treibende 1000-jährige Rosenstock, die österlichen Szenen, und Gottes Schluss-Zusage: "Ich war immer da. Ich bin immer da. Ich werde immer da sein. In allen Welten. Zu allen Zeiten. Ich bin." Nachdem der letzte Ton verklungen war, breitete sich eine wunderbare Stille aus, der auch die üblichen Huster nichts anhaben konnten. Dann aber brach ein übergroßer, lang anhaltender Applaus aus, in den wir glücklich einfielen.
Unser PKW war in der Innenstadt in einer Tiefgarage geparkt. Die Tür dazu war um diese Zeit nur mit einem
Ticket zu öffnen. Das Prinzip dieser Öffnung war uns unbekannt. Es gab zwar eine Erklärung dazu. Die aber war schlecht beleuchtet. Es dauerte eine Weile, bis wir alle Möglichkeiten ausprobiert hatten. Man musste außer-dem unbedingt zu Zweit sein. Wenn man die Karte in der richtigen Haltung und im richtigen Tempo durch einen Schlitz zog, dann klickte es, und die Tür, die ziemlich außer Reichweite lag, konnte geöffnet werden. Während wir gerade die Tür geöffneten hatten, erschien eine Frau, deren PKW auch in der Tiefgarage stand. Doch hatte sie ihr Ticket im PKW gelassen. Sie war wie wir im Oratorium gewesen, wollte nach Hannover zurück und wäre ohne uns an diesem Tag nicht wieder nach Hause gekommen. Manchmal spielt der Himmel passgenau. D.h. er spielt immer passgenau. Doch manchmal erkennen wir es!
Autor:Martin Steiger |
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