Zellen und Zellverbände
Die Obergrunstedter Kirche gehört zu den ältesten Gotteshäusern südlich von Weimar. Trotz ihrer bedeutenden Bausubstanz steht sie seit vielen Jahren leer. Mit ihrer Wiederbelebung beschäftigten sich jetzt Architekturstudenten der Bauhaus-Universität.
Von Doris Weilandt
Außer den Emporen und dem Taufbecken verfügt das Gotteshaus kaum noch über Inventar. Dafür gibt es romanische Kapitelle mit Schachbrettmustern und Farbspuren verschiedener Fassungen an den Wänden. Für Architekturstudenten der Weimarer Bauhaus-Universität der ideale Ort zum Forschen und praktischen Entwerfen. Nach wochenlanger Vorarbeit stehen und hängen jetzt Objekte im Raum. Sie erinnern an die Entwicklung der christlichen Liturgie: Tabernakel, Kanzelaltar und Narthex, die Vorhalle. Für die Studenten gab es vor allem eine zentrale Frage: Was braucht es, um einen Raum in seiner Funktion wahrzunehmen? »Wir haben versucht, mit unseren Entwürfen Minimalstrukturen zu entwickeln«, erklärt Jens Stöbe, der sich bereits im Masterstudium befindet. Vor Ort hat er aus Holz eine Taufe gebaut, durch die der Täufling durchlaufen kann. Sie soll an die Ursprünge, die Taufe von Jesus im Jordan, erinnern. Melina Igemonas interessiert die funktionale Mehrschichtigkeit, die in der Kirche noch erhalten ist. Mit einem Beichtstuhl, der an der Wand steht, nimmt sie Bezug auf die vorreformatorische Zeit.
Für Bernhard Klein, Professor für Städtebau und Betreuer des Seminars, hat die Arbeit auch eine historische Dimension. Als »Zellen« werden die Pfarrgemeinden seit ihrer Entstehung bezeichnet. Die heutigen, aus vielen Zellen bestehenden Kirchengemeinden betrachtet er als »Zellverbände«. »Wir setzten in unserer Entwurfsstrategie das Dorfareal mit der Außenmauer der Kirche gleich, übertrugen geradezu pantografisch die Kirche im Dorf auf liturgische Orte innerhalb der Kirche«, erklärt der Architekturprofessor. Die sprichwörtliche Kirche im Dorf ist die »Zelle«, die sich in Obergrunstedt architektonisch noch behauptet, aber inhaltlich nicht mehr als Zentrum für die Gemeinde existiert. Mit dem »Wie-schon-aufgegeben« ein »Wie-wieder-geboren« werden kann, beschäftigte die Seminarteilnehmer. Als Grundlage diente dabei auch das Buch »Dorfkirchen in Thüringen« von Herbert von Hintzenstern (1979).
In die fehlende Außenmauer hinter dem Triumphbogen hat ein Student eine Apsis aus Holzstücken eingebaut. Dieser kuppelartig überwölbte Segmentbogen bildete bereits in frühchristlichen Kirchen, meist mit Mosaiken verziert, den östlichen Abschluss. Er verweist auf die uralte Tradition der nach Jerusalem ausgerichteten Kirchen, auf die ersten »Zellen« für die Gemeinden, aber auch auf den Chor, einen für den Klerus bestimmten Raum, der der Apsis vorgelagert ist. Durch die Arbeiten der Studenten wird die Würde der alten Kirche wieder erlebbar. Das spürten auch die vielen Besucher, die sich zum Abschluss des Projektes eingefunden hatten. Gemeindemitglied Roland Lang war begeistert. Er freute sich, dass wieder Leben in das Gotteshaus eingezogen ist. Er erzählte, dass er hier noch getauft wurde. Danach war der Zustand der Kirche so schlecht, dass es mehrfach Abrisspläne gab. Jetzt ist das Dach wieder dicht und es soll weiter saniert werden, auch wenn es nicht einfach ist, das Geld zu beschaffen. Das Projekt »Zellen und Zellverbände« hat die Gemeinde wieder in der Obergrunstedter Kirche vereint und Hoffnung geweckt.
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