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Andacht zum Ewigkeitssonntag
Ach, lass mich jetzt mal allein! Ich werde gleich abgeholt.

Erinnerungen | Foto: Jarmoluk - pixabay
  • Erinnerungen
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Liebe Mitmenschen!

Sie sitzt an seinem Bett, sie sprechen nur noch das Wichtigste. Zwischen ihnen ist ja auch alles gesagt. Manchmal öffnet er die Augen. „Bald bin ich wieder gesund, dann komme ich nach Hause“, sagt er. „Hoffentlich bald“ sagt sie zu ihm. Abends liegt sie allein zu Hause in dem großen Bett. Sie träumt viel, schläft schlecht. Sie hört sein leises Schnarchen, er liegt neben ihr. Sie schreckt auf. Da ist sein Platz leer und die Bettdecke kalt. Ihr Kopf weiß es seit ein paar Tagen. Das Herz braucht länger. Es gibt kein „nach Hause“ mehr. Es wird ein anderes Zuhause werden. Ein Ort ohne die Schmerzen, ohne das Leiden, die Tränen, ohne diesen langen schmerzhaften Abschied.

„Bald bin ich wieder gesund, dann komme ich nach Hause.“ Wenige Tage später atmet er nur noch flach und unregelmäßig. „Papa ist nur ein Schatten“, sagt die Mutter zur Tochter am Telefon. Die ruft alle Geschwister an. Sie kommen, doch er ist ein paar Minuten zuvor gestorben.

Er, Sie, Mann, Frau, Ehefrau, Tochter, Sohn, Schwester, Bruder …. In diesem Jahr haben wir uns  bisher von 27 Menschen aus unseren Gemeinden verabschiedet. Ihre Namen sind wichtig!  Auf christlichen Friedhöfen bestatten wir niemanden anonym. Keine und keiner soll vergessen sein. Der Name eines Menschen steht für seine Würde, sein einzigartiges Wesen, seine Geschichte mit den Geschöpfen und mit Gott. Für ihre Namen brennen heute die Kerzen. „Gott sagt: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Im Leben und im Sterben und über den Tod hinaus. Mit den verstorbenen Menschen haben Sie, liebe Angehörige, ganz unterschiedliche Abschiede erlebt.

Thea
ist 84 Jahre alt und läuft gerade noch mit ihrer Pflegerin über den Flur, dann sagt sie ganz unvermittelt: „Ach, lass mich jetzt mal allein. Ich werde gleich abgeholt.“ Fünf Minuten später ist sie verstorben. Elke erlebt noch den Konfirmationsgottesdienst ihrer Enkelin in der Kirche und wenige Tage später ist alles anders. Ein schwerer Herzinfarkt, eine Operation, Herz-Lungen-Maschine. Ein letzter Besuch und ein schockierend plötzlicher Abschied.

Heidi ist erst 59 Jahre alt. Sie verschenkt gern Engel an die Menschen in ihrer Umgebung. Sie sollen uns beschützen, trösten und uns in den dunkelsten Stunden beistehen. Manchmal gehören Engel zu dem Bild, dass wir uns von Gott und dem Himmel machen. Wir bitten sie, behutsam zu sein, wenn sie den geliebten Menschen abholen. Wir bitten sie, uns zu behüten. Wir bitten sie darum, unserem lieben Verstorbenen im Jenseits begegnen zu dürfen. Viele Male bittet Heidi sie einfach um Beistand. Mit den dunklen Stunden kennt sich aus. Mit Engeln an ihrer Seite fühlt sie sich stärker, sicher, sie helfen ihr an das Licht zu glauben …, auch wenn es gerade nur schwach in ihr leuchtet. Die Diagnose „Lungenkrebs“ ist niederschmetternd. Der Tumor sitzt so ungünstig, dass eine OP nicht infrage kommt und die Ärzte sind ehrlich zu ihr: „Weihnachten 2019 werden Sie nicht erleben.“ Bei meinem Besuch an ihrem Bett im Krankenhaus in Erfurt lege ich ihr einen bronzenen Engel in die Hand. Heidi hat Angst und Schmerzen. Sie versucht sich oben zu halten, doch die Kräfte lassen nach. Sie wünscht sich noch mehr Zeit, um „bewusster zu leben“ wie sie sagt. Ich halte ihre Hand, segne sie mit Öl und ihre Atmung wird ruhiger. Es ist ein langer Weg des Abschiednehmens. Mitte Dezember 2019 zieht Heidi  in das Hospiz nach Weimar. Die Mitarbeiter*innen kümmern sich liebevoll um sie. Sie – ihre Familie – ist jeden Tag an ihrer Seite. Am Abend des 19. Dezember 2019 stirbt sie im Kreise ihrer Liebsten.

Unser ältestes Gemeindemitglied ist erst vor kurzem verstorben: Frieda. Fast hätte sie ihren 108. Geburtstag am 17. November 2020 noch erlebt. Ihre Geburtstage wurden immer mit großer Aufmerksamkeit und Hingabe von ihrer Familie gefeiert. Die letzten Jahre brauchte Sie viel Fürsorge. Frieda … die Friedliche, die Friedensreiche. Voller Glauben und Dankbarkeit habe ich sie bei meinen Besuchen erlebt. Fast ruhig und gelassen … zuletzt war da auch der Wunsch endlich gehen zu dürfen. Hinüber wechseln auf die andere Seite, in die himmlische Stadt, das neue Zuhause.

In ihrer Gegenwart hatte ich immer das Gefühl, es ist absolut nicht unvernünftig auf einen Himmel zu hoffen. Dass es ein Zuhause gibt, das sich jenseits dieser Zeit und über unsere eigene Lebensspanne hinaus eröffnet. Die Stadt Gottes, die vom Himmel, von Gott, herabkommt, nimmt dem, was wir hier erleben, die Wucht. Eine andere Dimension wirkt in solchen Momenten. Wer sich zu Jesus hält – so sagt es die Bibel – erhält ein Bürgerrecht für das himmlische Jerusalem, wird an der Hütte Gottes angesiedelt. Und diese Stimme „siehe, ich mache alles neu“, will in den Ohren nicht verstummen und schafft ihre eigene Realität. Die ganz Alten … kennen diese Worte gut. Haben Sie schon so oft gehört. Es sind manchmal noch erstaunlich stabile Lebensbiografien, die den Glauben an Gottes Größe, die Kirche im Ort, Taufe, Konfirmation, Hochzeit, die Taufe der Enkel … in sich vereinigen. Gottes Weg in ihrem Leben wird uns dann oftmals erst im Rückblick – wenn wir auf ihren Bestattungen – auf ihr Leben sehen – und das himmlische Licht auf die einzigartigen Lebensmomente fällt, bewusst. Das zarte Netz Gottes, das Menschen mit ihm, dem Himmel, der himmlischen Stadt verbindet … es war, nie nur eine Sache von später. Es glänzt in ihren Leben jetzt wie die Nebeltropfen sich im Spinnennetz festhalten. So leuchtet Gott selbst in seinem Sohn. In Jesus Christus gibt es einen zuverlässigen Ort der Gegenwart Gottes – für uns alle mit unserem ganz besonderen Namen. Es ist unser Zuhause.

"Alles ist entschieden, alles ist durchgekämpft, endlich gesiegt. Jetzt liegt der Ton auf Neu. Alles ist ohne Schatten der Vergangenheit. Himmel, Erde, Meer: die ersten Schöpfungswerke und Grundlage allen Lebens sind nicht mehr. Sie hatten ihre Zeit, nun aber kommt Neues. Aus dem neuen Himmel, der Sphäre Gottes, kommt die neue Heimat des Menschen."  Keine Trennung, kein Leid, keine Widersprüche oder Ambivalenzen. Dies ist nicht mehr nur ein Ort der Gottesgegenwart in einer ambivalenten Welt, jetzt gibt es keinen Ort ohne Gott mehr. Er wird in ihrer Mitte zelten und sie werden sein Volk sein. Alpha und Omega, Anfang und Ende, Gott alles in allem, Gott inmitten der Menschen, die Menschen aufgehoben in der Gemeinschaft mit Gott. Endlich. "

Dieses Bild ist echt … nicht bloße Utopie. Jetzt immer schon ein bisschen. In jedem dieser 27 Menschenleben und im Leben derer, deren Namen wir nicht kennen. Der Ewigkeitssonntag spricht von der Vorläufigkeit unserer Welt, von der Unvollkommenheit und Verletzlichkeit, von Tod und Leid, von Nähe und Liebe, von Hingabe und Vertrauen.

Ein Lied von Georg Schmid beschreibt es so:

1. Geborgen, geliebt und gesegnet,
gehalten, getragen, geführt, erkennen wir Gott.
Er begegnet, wenn Schweigen den Schweigenden spürt.

2. Wir wären wie brüchige Wände,
zerberstend im nächtlichen Sturm,
wenn heut in Gott sich nicht fände
Geborgenheit, Tore und Turm.

3. Wir wären gebildete Toren
und Sklaven der eigenen Macht,
im eigenen Lichte verloren,
fänd Gott uns nicht durch unsere Nacht.

Liebe Angehörige, liebe Gemeinde!

Verwundetes Leben wie das eines Menschen in Trauer ist nur heilbar durch Leben. Gegen die Kälte des Todes hilft nur die Wärme des Lebens. So frage ich Sie zum Abschluss: Was denken Sie, würde wohl ihr Toter - der Mensch, den sie verloren haben, für Sie heute wünschen?

Ich wünsche Ihnen:

Mögen Sie gut auf sich hören und für sich sorgen. Mögen Sie wichtig nehmen, was Ihnen guttut und möge Ihnen die Kraft und die Willensstärke geschenkt sein, sich dem Leben wieder zuzuwenden.  So möge sich ihnen in sanftem Glanz schon jetzt ein neuer Himmel und eine neue Erde zeigen. Vielleicht nur verschwommen. In Umrissen. Schemenhaft. … bis der Tag kommt, an dem wir ganz sehen. Ganz zu Hause sind. Der Tag an dem Frieden ist.

Es grüßt Sie in der Stille dieses besonderen Sonntags!

Pfarrerin Denise Scheel

Autor:

Denise Scheel

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