Andacht
Von Worten, die Gold wert sind
Liebe Leser*innen!
Stellen Sie sich einmal vor: Sie kommen nach einem langen Arbeitstag nach Hause, Sie öffnen die Wohnzimmertür und sehen, da liegen Socken auf dem Boden, die Chipstüte auf dem Sofa, der Wäschestapel des Jüngsten noch an Ort und Stelle. Wie geht es Ihnen jetzt? Im gleichen Moment kommt ihr 15 Jähriger Sohn nach Hause. Welche Worte wählen Sie? Eine Mutter sagt mir: „Ich versuche es dann schon vorsichtig, um nicht zu viel Druck zu machen. Aber meistens entsteht ein Wortgefecht oder ich sehe zumindest verdrehte Augen. Nach dem Motto: Nicht schon wieder das! Mutter!“ Mit Menschen reden, ohne dass sie dicht machen. Das ist eine hohe Kunst. Fortgeschrittenen Müttern und Vätern fällt vielleicht geistesgegenwärtig dieser Satz ein: „Felix, wenn ich in unseren gemeinsamen Räumen zwei zusammengerollte schmutzige Socken unter dem Kaffeetisch sehe und noch drei neben dem Fernseher, dann bin ich irritiert, weil mir Ordnung wichtig ist. Würdest du bitte deine Socken in dein Zimmer oder in die Waschmaschine tun?“
Vielleicht haben Sie es schon erkannt. Ein Satz aus der „Gewaltfreien Kommunikation“ wie ihn Marshall B. Rosenberg in seinen Übungen empfiehlt. Meine Schüler im Unterricht staunen nicht schlecht, als wir entdecken, dass der Satz „Hans, du quatscht schon wieder!“ irgendwie nicht wirklich gewaltfrei ist. Wir schauen auf die Methode. Es geht dabei zuerst um nüchterne Beobachtung, um meine Gefühle, meine Bedürfnisse und letztlich meine konkrete Bitte. Da gibt es zwei zusammengerollte Socken und einen Schüler, der redet. Beobachtung und Bewertung auseinanderhalten, das ist „die höchste Form menschlicher Intelligenz“ meint der indische Philosoph J. Krishnamurti. Dann die Frage: Warum bewerte ich es so wie ich es bewerte?
M. B. Rosenbergs Methode erinnert mich an das biblische Wort, dass mich ermahnt zuerst bei mir selbst zu bleiben. „Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken in deinem Auge aber nimmst du nicht wahr? … Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge. Dann wirst du klar genug sehen, um den Splitter“ (Mt 7,3ff) im Auge deines Bruders anzusprechen, ja herauszuziehen. Jesus Worte in der Bergpredigt laden ein auf Gewalt zu verzichten und seine Worte fordern seit je her heraus. Jesus lockt Menschen aus ihrer Komfortzone. Er öffnet Gesprächsräume, hört den Menschen zu und führt Sie in ihre eigene Verantwortung hinein. Den Blinden auf dem Weg fragt er: „Was willst du, dass ich dir tue?“ (Lk 18,41) Hätte der Blinde darauf keine Antwort, wäre Jesus vielleicht nicht aktiv geworden? Dem Mann, der seit Jahrzehnten darauf wartet, dass andere ihn tragen, damit sich etwas an seiner Situation verändert, mutet er die Frage zu: „Willst du gesund werden? Dann steh auf, nimm deine Bahre und zeig, dass du gehen kannst!“ (Joh 5, 6ff.) Jesus findet die passenden Worte für beide Seiten. Gewaltfrei, klar und friedlich. Wir wissen Jesus ist mutig, engagiert, inspiriert, still, strahlend und glücklich und sein Weg kennt auch unerfüllte Bedürfnisse. Am Kreuz ist er hilflos, überwältigt, schockiert und in Panik. Doch zu jeder Zeit ruht er in sich. Nicht die anderen sind schuld. Wir hören ihn nicht so schimpfen. Etwa Pilatus, Judas, oder Gott selbst, der Lehrer, die Mutter, oder der „ …“ Autofahrer, der gerade vor mir fährt. Ich besinne mich zurück und frage mich: Was beobachte ich hier gerade? Was fühle ich? Hat das wirklich etwas mit meinem Gegenüber oder vielleicht doch mit meinen Bedürfnissen zu tun? In Jesus Gegenwart kann ich sicher sein: Wage ich einen Blick auf den Balken in meinem Auge – bin ich von Gott selbst getragen! Bin ich mit ihm und mir selbst auf einem friedvollen Weg.
"Du Gott siehst mich." (Gen 16,13)
Es grüßt Sie herzlich
Pfarrerin Denise Scheel
Literatur:
Marshall B. Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens, Paderborn, 2016, S. 21.
Autor:Denise Scheel |
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