Dorfpfarrer und Bienenvater
Religion und Naturwissenschaft – für den Pfarrer und Imker Ferdinand Gerstung
aus Oßmannstedt waren dies keine feindlichen Brüder.
Von Christine Lässig
So mancher Pfarrer ist als Prediger und Seelsorger vergessen, als Pomologe oder Imker, Literat oder Landwirtschaftsexperte nicht. Der Thüringer Theologe und Bienenforscher Ferdinand Gerstung gehört zu ihnen.
»Ein bisschen klein geraten«, mögen die Oßmannstedter Bauern gedacht haben, als sie 1886 ihren neuen Pfarrer ankommen sahen mit seiner Frau und einer ganzen Menagerie von Vögeln, Katzen, Ziegen, einem Schäferhund und vielen Bienenkörben. Dass er einer von den Großen ist, haben sie bald gemerkt und ihm ein Denkmal gesetzt, den Platz vor der Kirche nach ihm benannt und die Biene ins Ortswappen genommen. Sogar der Kindergarten erinnert mit seinem Namen »Bienenschwarm« an den Theologen und Bienenvater Georg Ferdinand Gerstung, der 39 Jahre lang im Oßmannstedter Pfarrhaus wohnte und »in großer Treue« wirkte, wie auf der Gedenktafel zu lesen ist. »Sein Name wird noch in ferner Zukunft von einer dankbaren Nachwelt ehrenvoll genannt werden«, heißt es im Nachruf der Imkerverbände 1925.
Ob sein Name über den Tod hinaus im öffentlichen Gedächtnis geblieben wäre, wenn er sich auf seine pfarramtlichen Aufgaben beschränkt hätte, darf bezweifelt werden. Vernachlässigt hat er sie keineswegs, im Gegenteil. Sein Theologiestudium hatte er mit Auszeichnung absolviert, nach seinem Vikariat in Ifta und einigen Jahren Gemeindearbeit in Oßmannstedt bot ihm seine Kirche das Superintendentenamt an, das er allerdings dankend ablehnte. Er war Herausgeber und Mitautor der Schriftenreihe »Neue Wege zum alten Gott«, seine Predigten waren sorgfältig vorbereitet, seiner Gemeinde stand er in Freud und Leid zur Seite.
Aber schon als Schuljunge in Vacha, als Gymnasiast in Eisenach oder Student in Jena und Heidelberg nutzte er jede freie Minute für naturwissenschaftliche Studien, beobachtete wissbegierig alles, was da kreucht und fleucht, züchtete Vögel und bald auch Bienen. Der Honigertrag des Autodidakten brachte selbst Berufsimker zum Staunen. Der Oßmannstedter Pfarrgarten wurde zur Bienenweide für an die 100 Völker und um Himmelfahrt jeden Jahres zum Treffpunkt für angehende und langjährige Imker aus allen Teilen Deutschlands.
Außerordentlich begabt und ungemein fleißig hat er die Zeit ausgekauft und in rund 50 kostenlosen Imkerlehrgängen vor allem für Pfarrer und Lehrer, mit Vorträgen im In- und Ausland und durch 32 Jahre Schriftleitung der von ihm begründeten Zeitschrift »Deutsche Bienenzucht in Theorie und Praxis« einer breiten Öffentlichkeit vermittelt, wie die Imkerei ohne alle teuren »Firlefanzereien« mit dem geringsten Aufwand von Material, Zeit, Arbeit und Geld effektiv zu betreiben ist. Zusammen mit August Ludwig, ebenfalls Pfarrer und Imker in einer Person, gründet er 1907 das erste deutsche Bienenmuseum in Oberweimar und den Deutschen Imkerbund. Von seinen zahlreichen Schriften erlebt das Standardwerk »Der Bien und seine Zucht« neun Auflagen. Die von ihm entwickelten neuen Imkergeräte und Gerstung-Beuten werden in der von seinen Söhnen betriebenen Oßmann-
stedter »Deutschen Bienenzuchtzentrale« preiswert und in Serie gefertigt. Die Jenaer Universität verleiht dem Dorfpfarrer den Ehrendoktortitel.
Unumstritten waren die Neuerungen anfangs nicht, aber schon zehn Jahre nach Gerstungs Tod stellt August Ludwig fest, »dass die Imkerschaft nach allem Hader heute weithin gerstungisch geworden ist«. Und tatsächlich erinnert sich die dankbare Nachwelt bis jetzt an den Bienenvater von Oßmannstedt. Imker und Landwirte treffen sich in der zum Gemeindehaus ausgebauten Pfarrscheune zum jährlichen Dialog. In seinen Garten mit den alten Obstbäumen sind wieder Bienenvölker eingezogen. Im Frühling wird ein Bienengarten gepflanzt, der für alle Interessierten offensteht.
Es würde Gerstung freuen, dass dort auf Initiative des Apoldaer Imkervereins und im Zusammenspiel mit dem Bienenmuseum wieder Fachwissen und Praxiserfahrung vermittelt werden.
Autor:Online-Redaktion |
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