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Der Countdown läuft

(Illustration: kirche.nelcartoons.de)
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Von Predigtgedanken, Fußballfreunden, Sauerkraut und Kirchenglocken: Ein Gedankentagebuch des Schlotheimer Pfarrers Frank Freudenberg in den Tagen vor Weihnachten, im vergangenen Jahr.

Aufgezeichnet von Katharina Freudenberg

22. Dezember: noch 2 Tage ...


7.42 Uhr
: Ein heißer Tee wärmt mir den Magen. Dann bringe ich unsere beiden Kinder zum Kindergarten.

8.04 Uhr: Großes Gewusel im Gemeindebüro. Es gibt noch viel zu organisieren: Die Liederhefte für die Gottesdienste müssen noch in die Ortschaften gelangen. Drängende Frage: Reichen die Präsente als Dank für die Krippenspielkinder?

9.35 Uhr: Den Urlaubsantrag für die Tage nach Weihnachten muss ich noch schnell ins Kirchenkreisbüro schicken.

9.45 Uhr: Am Schreibtisch angekommen setzte ich mich an die Predigt. Der Kerngedanke ist mir schon lange im Sinn: »Fürchtet euch nicht!« Wovor fürchten wir uns heute? Jetzt, nach dem Anschlag in Berlin liegt das Thema ganz oben auf. Es gibt so viele Ängste.

12.01 Uhr: Mitarbeiterweihnachtsessen in Sondershausen: Wir halten Rückblick auf das vergangene Jahr. Ich genieße den Moment der Besinnung. Es ist ein ereignisreiches Jahr gewesen. Ohne diese Zeiten des Innehaltens rast es einfach weiter.

14.24 Uhr: Einige Besorgungen liegen noch an: diverse Weihnachtsgeschenke und ein Kreativkoffer für die Christenlehre.

16.10 Uhr: Weihnachtsfeier des Fußballinternats, mit dem die Kirchengemeinde zusammenarbeitet. Angeregtes Gespräch mit einem ehemaligen Trainer über das anstehende Reformationsjubiläum und die Bewertung Martin Luthers in der evangelischen Kirche. Er ist überhaupt kein Kirchgänger, aber dennoch sehr interessiert.

17.05 Uhr: Nun ist es Zeit, den morgigen Gottesdienst im Seniorenheim vorzubereiten. Habe ich alle Weihnachtspräsente für die Senioren?

18.03 Uhr:
Abendessen mit der Familie

20.01 Uhr: Zurück am Schreibtisch: aktuelle Zeitungslektüre. Erstaunlicherweise findet sich das weihnachtliche Motiv »Fürchtet euch nicht« in etlichen Zeitungskommentaren. Mir gehen einzelne Menschen durch den Kopf und wie sie das »Fürchtet euch nicht« wohl hören werden. Menschen zum Beispiel, deren Emotionen hochkochen, wenn sie das Wort »Geflüchtete« hören. Ich denke auch an manche Gemeindeglieder, die ein geliebtes Familienmitglied im vergangenen Jahr verloren haben. Und es gab schwere Schicksalsschläge.

23. Dezember: Noch 1 Tag ...

10.01 Uhr: Gottesdienst im Seniorenheim: Wir singen schon mal die Weihnachtslieder, denn die meisten der Senioren können nicht in die Kirche kommen. Angeregte Stimmung, viele Redebeiträge. Jeder Gottesdienstteilnehmer bekommt ein kleines Geschenk zum Abschied. Jetzt geht’s los auf die Stationen – zu den Menschen, die das Bett nicht mehr verlassen können. Auch sie sollen einen kleinen Gruß bekommen.

12.15 Uhr:
Problem. Der Josef ist uns abhandengekommen. Schon zur Generalprobe war er nicht da und seine Handynummer stimmt offensichtlich nicht mehr. Ärger steigt in mir hoch. Krippenspiel ohne Josef – das geht nicht. Im Team beraten wir, wer spontan einspringen könnte. Ich vielleicht? Ich telefoniere rum. Wer hat Josef gesehen? Ob Maria damals wohl auch solche Schwierigkeiten hatte?

14.03 Uhr: Besuch zum 91. Geburtstag eines Gemeindeglieds im Nachbardorf. Früher hat sie sich immer um das Krippenspiel gekümmert. Die Tochter der Jubilarin trällert ein Lied­chen.

15.27 Uhr: Im Seniorenheim: Plötzlich steht der Josef da. Er konnte zu den letzten Proben nicht kommen, sein Telefon war kaputt. Aber jetzt ist er da. Erleichterung macht sich breit. Erst recht als die Aufführung doch besser lief als befürchtet und ich nicht in die Rolle des Josef schlüpfen musste. Das Kostüm hatte ich schon dabei.

16.45 Uhr: Am Heiligabend soll es wie jedes Jahr ein traditionelles Weihnachtsgericht bei uns zu Hause geben. Genau das gleiche, mit dem ich aufgewachsen bin. Die Bratwürste sind schon besorgt. Aber das Sauerkraut und die Kartoffeln für die Klöße fehlen noch. Also schnell in den Supermarkt, auch wenn es um diese Zeit kein Spaß ist, sich durch die Gänge zu schieben.

17.45 Uhr: Was sein muss, muss sein – ab zum Fußballtraining der Alten Herren. Nach Möglichkeit lasse ich keine der wöchentlichen Trainingszeiten aus. Sonst bewegt man sich ja gar nicht mehr – und die Jungs in der Mannschaft hab ich einfach gern. Manchmal sagen sie, dass in der Mannschaft, in der ich mitspiele, noch einer mehr dabei ist und zeigen dabei augenzwinkernd Richtung Himmel.

19.54 Uhr:
Ein Gutenachtlied für die Kinder.

20.15 Uhr: Mein Magen knurrt. Damit mein Gehirn noch arbeitstüchtig bleibt, brauche ich dringend etwas zu Essen. Meine Frau hat die Suppe schon warmgemacht.

20.40 Uhr:
Die Endfassung der Predigt steht an.

24. Dezember: Heiligabend


8.43 Uhr:
Erste wichtige Aufgabe des Tages: den Weihnachtsbaum aufstellen. Nachdem er schon ein paar Tage draußen im Kalten gewartet hat, darf er nun in die gute Stube. Rein in den Baumständer, noch ein bisschen ausrichten und schon können die Kinder mit dem Schmücken beginnen.

9.54 Uhr:
Ein Freund bringt uns den Weihnachtsbraten – er hat das Reh am Vortag erst geschossen. Das wird ein Fest!

11.44 Uhr: Die Nudelsuppe können wir noch alle zusammen essen, bevor wir am Nachmittag in verschiedene Kirchen aufbrechen.

13.15 Uhr: Mein Schwager trifft ein, um die Kinder zu hüten.

15.01 Uhr: Christvesper mit kleinem Krippenspiel. Das Glockenläuten bringt mich zur Ruhe. Ich bin aber eindeutig zu warm angezogen, denn die fürsorglichen Kirchenältesten haben einen Gasheizer direkt neben meinem Platz aufgestellt; Nebeneffekt: der Gasheizer raubt mir den Sauerstoff, ich muss gähnen. Nun ist das Vorspiel vorbei, ich bin dran. Hoffentlich kann ich die Erwartungen, mit denen die vielen Menschen jetzt in der Kirche sitzen, gut aufnehmen und in Worte fassen.
Mit dem »Gloria« des Kirchenchors kommt Weihnachtsstimmung auf. Am Ausgang dann die persönliche Verabschiedung: Ich sehe viele Menschen, die schon lange nicht mehr hier wohnen, aber zu Weihnachten zu ihren Ursprüngen zurückkehren. Da sind die stolzen Omas, die ihre Kinder beim Krippenspiel bewundert haben. Ich drücke auch die Hände derer, von denen ich weiß, dass bei ihnen in diesem Jahr ein Stuhl leer bleibt. Und natürlich sind da auch die freudestrahlenden Kinder, die es kaum erwarten können, dass es nun endlich zur Bescherung geht.

16.30 Uhr: Christvesper mit Krippenspiel im nächsten Dorf: Zum Glück komme ich frühzeitig an. Ich muss sehen, dass ich noch kurz mit dem Organisten sprechen kann. Dann geht es auch schon los. Bei der Predigt steige ich auf die Kanzel. Das mache ich im restlichen Jahr nie. Bei den Anspielungen auf die Geflüchteten erahne ich in einigen Gesichtern Widerspruch. Aber es bleibt bei der Ahnung, am Ausgang spricht mich niemand darauf an.

18.39 Uhr: Zum Glück komme ich zwanzig Minuten vor Beginn der nächsten Christvesper an. Die Krippenspielkinder sind unglaublich aufgeregt. Auch Josef ist da – puuh! Jetzt geht es darum, für Ruhe zu sorgen, jedes Kind braucht seinen Platz. Wichtig ist auch ein letzter Technik-Check. Mein Blick streift durch das Kirchenschiff. Fast alle Plätze sind bereits besetzt. Wie schön, einige Gesichter zu sehen, die sonst nicht kommen. Am Ende dann »O du Fröhliche« im Stehen – es erinnert mich an die Weihnachtsgottesdienste meiner vogtländischen Kindheit.

19.42 Uhr:
Zu Hause angekommen. Der Duft von Bratwurst, Klößen und Sauerkraut strömt mir schon auf der Treppe in die Nase. Die Kinder kommen mir freudestrahlend entgegengerannt. Ich muss schnell die langen Unterhosen loswerden und mir ein frisches Hemd anziehen. Dann kann der Weihnachtsabend beginnen.

Autor:

Adrienne Uebbing

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