Wo mein Glaube wurzelt
Reportage: Die kleine Kirchengemeinde Prösen steht vor großen Herausforderungen, doch es tut sich etwas.
Von Sabine Kuschel
Wie schön es hier ist, denke ich manchmal, wenn ich zu Besuch in Prösen (Kirchenkreis Bad Liebenwerda), meinem Geburtsort, bin. Zwischen Wiesen und Feldern führen Radwege von Ort zu Ort. Ein Floßkanal durchfließt das Dorf, zu beiden Seiten des Ufers Birken und Sträucher. Als Kind konnte ich meiner Heimat nicht viel Schönes abgewinnen. Etwa im Alter von zehn bis zwölf Jahren beschloss ich: »Hier bleibe ich nicht.«
Nach der Wende zogen viele Menschen wegen fehlender Arbeit und mangelnder Perspektive weg. In den 1950er-Jahren zählte das Dorf mehr als 3 000 Einwohner. Heute sind es nur noch etwa 1 900. Deutlich sichtbar ist der Bevölkerungsschwund auf dem Friedhof. Präsentierte er sich einst als ein Meer von Blumen – eine Grabstelle so schön bepflanzt wie die andere – breitet sich mehr und mehr eine riesiges leeres Areal aus. Im hinteren Teil nimmt zwar die Zahl der Urnengräber zu und viele Prösener bevorzugen ein platzsparendes und pflegeleichtes Gemeinschaftsgrab. Dennoch täuschen diese nicht darüber hinweg, dass das Dorf schrumpft.
Dieser Prozess macht auch der Kirche zu schaffen. Bis 2002 gab es zwei Pfarrstellen, die nach und nach weiter reduziert wurden, erzählt Pfarrer Otto-Fabian Voigtländer. Seit 2012 hat er nur noch eine halbe Pfarrstelle. Zu 50 Prozent unterrichtet er Religion in der Schule in Prösen und Elsterwerda.
Früher gehörten die drei Gemeinden Prösen, Wainsdorf und Stolzenhain zum Pfarrbereich. Mittlerweile zählen neun Dörfer mit fünf Predigtstätten dazu: Prösen und Wainsdorf, Stolzenhain, Oschätzchen, Würdenhain, Prieschka, Reichenhain, Haida und Saathain. Die Zahl der Kirchenmitglieder ist in der Region seit 2012 von 992 auf 850 gesunken. »Etwa zwei Prozent wie überall in der Landeskirche«, erklärt der Pfarrer.
Nach der Wende galt die Region als abgehängt. Mittlerweile hat sich etwas geändert, die Menschen fehlen zwar noch, aber Arbeit gäbe es in der Region genug, so die Beobachtung des Pfarrers. »Die Behauptung, es gibt keine Ausbildungs- und Arbeitsplätze stimmt nicht«, sagt er. »Alle Handwerker, die ich kenne, suchen händeringend Auszubildende.« Viele junge Leute ziehen zum Studium weg. Und die Menschen, die um die Wende vor 25 Jahren weggegangen sind, fehlen heute, bedauert Voigtländer. »Die waren damals 18, 19 Jahre alt. Deren Kinder würden jetzt hier eine Ausbildung machen.«
Die Prösener religiös anzusprechen ist nicht leicht. »Was den Gottesdienstbesuch anbetrifft, kann ich das bestätigen«, sagt der Pfarrer. »Im Verhältnis zur Zahl der Mitglieder kommen in Prösen die wenigsten zum Gottesdienst, acht bis zehn. »Es ist frustrierend. Manchmal bin ich traurig.«
So traurig der Blick auf die Situation stimmen mag – allem Widerschein zum Trotz beginnt hier und dort doch ein Pflänzchen zu sprießen. Es gab Jahrgänge ohne einen einzigen Konfirmanden. 2017 ließen sich zehn Jugendliche konfirmieren, in diesem Jahr waren es zwölf. »Herr Voigtländer hat eine wunderbare Art mit jungen Menschen umzugehen, sie zu motivieren. Ich weiß das von meinem Enkel«, erzählt Monika Theile, Gemeindekirchenrätin in Stolzenhain. »Über die Jahre hat sich etwas entwickelt. Jetzt kommen die ersten Früchte«, so die erfreuliche Bilanz der Kirchvorsteherin.
Die Kirche steht mancherorts vor der enormen Herausforderung, in vielen teilweise weit verstreuten, kleiner werdenden Gemeinden das Leben aufrecht zu erhalten. Mit reduziertem Umfang an Pfarrstellen. So auch hier.
In jedem Ort für sich will Gemeindeleben gefördert, Tradition aufrechterhalten und zugleich Neues integriert werden. In Prösen und den übrigen Dörfern geht das so: In jeder Kirche wird wenigstens einmal monatlich zum Gottesdienst eingeladen. Zusätzlich lädt der Pfarrer jeden Monat in jedem Ort zu einer Abendandacht ein. An diesem Angebot, so der Pfarrer, wolle er festhalten, selbst wenn – wie in Prösen – oft nur eine einzige Frau teilnimmt. Ein Frühstückstreffen findet auf regionaler Ebene statt. Für jeden Ort ist im Jahr zumindest ein Höhepunkt angesagt. In Stolzenhain ist das die Osternacht mit Osterfeuer. Prösen feiert im Juni ein Johannisfest und im November findet der Martinsumzug statt. In Würdenhain gibt es am 6. Dezember eine Nikolausmusik mit anschließendem Grillen. Eine beliebte regionale Veranstaltung ist das Wickeln von Adventskränzen im Dezember.
»Nur ein Höhepunkt in jedem Ort«, betont der Pfarrer, »damit es für die Ehrenamtlichen nicht zu viel wird.«
Prösen ist der Ort, wo der Glaube an Gott und Jesus Christus in mein Herz gepflanzt wurde. Ich wünsche der jungen Generation, dass ihr dies auch geschieht. Es gibt Anzeichen, dass diese Hoffnung vielleicht nicht aus der Luft gegriffen ist. Wie Voigtländer sagt, nehmen in Prösen viele Kinder am Religionsunterricht teil. Kinder, deren Eltern nicht zur Kirche gehören. Indem sie ihren Nachwuchs zum Religionsunterricht schicken, eröffnen sie ihm die Chance, Gott näher zu kommen.
Die Mehrheit der Kinder, die beim Krippenspiel mitmachen, kommt ebenfalls aus nichtchristlichen Elternhäusern. Die Lust, biblische Geschichten aufzuführen, ist offensichtlich.
Ein Krippenspiel im Jahr, das reicht den jungen Leuten in Oschätzchen nicht. »Denen gefällt das so gut, dass sie noch ein Passionsspiel zusätzlich aufführen«, erzählt der Pfarrer. Seit nunmehr fünf Jahren wird karfreitags die Passionsgeschichte gegeben.
Wiederum leben allein im Pfarrbereich Prösen mehr als 70 Familien, die zwar der Kirche angehören, jedoch ihre Kinder nicht getauft haben, so Voigtländer. Potenzieller Nachwuchs, der vielleicht darauf wartet, angesprochen zu werden. Sie werden in nächster Zeit von der Kirchengemeinde einen Brief erhalten mit einer Einladung. Und eventuell sind sie dann bei dem nächsten Höhepunkt schon mit dabei. Der ist am 26. August in Würdenhain geplant. Dort wird zu einem großen Tauffest eingeladen.
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