Porträt
Dorfkirchen mit Leben füllen
Besuchermagnet: Nico Wieditz spielt bekannte Hits der Pop- und Filmmusik auf der Orgel und bringt dadurch Menschen zusammen.
Von Mirjam Petermann
Die Zuhörer verlassen die Kirche und fragen sich: ›Was war das denn?‹«, erzählt Nico Wieditz, wenn er rückblickend über die ersten Aufführungen seiner neuen Konzertreihe spricht. »Das sitzen Vier- und 92-Jährige gemeinsam in einem Konzert. Das ist doch krass«, schwärmt er. In jedem seiner Sätze ist die Begeisterung über sein Programm »Starlights« zu hören. Sein Ziel: die Menschen wieder für ihre Kirchen und ihre Orgeln begeistern.
»Ein Besucher hat mir erzählt, dass er nach 27 Jahren das erste Mal außerhalb von Weihnachten wieder in der Kirche war«, erzählt Wieditz – genau diese Leute wolle er erreichen. Das gelingt ihm, indem er Stücke spielt, die seine Zuhörer von der Königin der Instrumente in einem Gotteshaus nicht erwarten – und dazu noch kennen: Abba und Linkin Park, Themen aus Kinofilmen wie Gladiator, Phantom der Oper oder Herr der Ringe, Melodien aus Kindertagen. »Das weckt in den Menschen Emotionen und die will ich in die Kirche transportieren«, sagt der 42-Jährige. Menschen, die sich emotional öffnen, seien ehrlich und ließen sich auf den anderen ein, davon ist Wieditz überzeugt. In der Kirche in ihrem Ort will er sie zusammenbringen und »Begegnung auf Augenhöhe« ermöglichen.
Seit über 25 Jahren ist Nico Wieditz im Kirchendienst ehrenamtlich aktiv. Zweimal war er Vorsitzender des Gemeindekirchenrates in seinem Heimatdorf Oberdorla und in Möhra (Kirchenkreis Bad Salzungen-Dermbach), wo er seit acht Jahren wohnt. Dass in den Gemeinden die Mitglieder und in den Gottesdiensten die Besucher weniger werden, konnte er überall beobachten: »Es wird in den Pfarrkonventen viel geredet, das ist alles schön und gut.« Geändert habe sich kaum etwas, so kam ihm die Idee zu seiner Konzertreihe.
Vor allem die Dorfkirchen kommen seiner Ansicht nach zu selten in den Konzertgenuss, weshalb er genau dort spielt. Aber auch für große Kirchen ist sein Konzept umsetzbar. Während seiner Konzerte ist er für alle Zuhörer durch Kameras an der Orgel und die Übertragung auf eine große Leinwand sichtbar. Darüber laufen auch Einspieler und Filmsequenzen. Zentraler Bestandteil seines Programms ist das Erfüllen von Musikwünschen, die im Vorfeld angemeldet werden können.
2013 beschloss Wieditz seinen Job in der Industrie zu kündigen und sich ganz der Musik zu widmen. Mit Konzerten und einer kleinen Musikschule verdient er inzwischen seinen Lebensunterhalt. »Klar will ich davon auch leben können, damit ich weitermachen kann«, sagt er. Aber er wolle Musik nicht verkaufen, sondern transportieren. Für seine Konzerte braucht Nico Wieditz keine Noten. Was er spielen will, hat er im Kopf. Seine Hände und Füße bringen es auf Manual und Pedal. Er selbst hat eine große Achtung vor dieser Fähigkeit, quasi nicht üben zu müssen und trotzdem alles spielen zu können – und bleibt bescheiden. »Ich habe ein Geschenk bekommen, es wurde mir in die Wiege gelegt. Und daran will ich andere teilhaben lassen.«
Über seiner Leidenschaft steht deshalb der Bibelvers aus Lukas 12,48: »Wem viel gegeben, von dem darf viel erwartet werden.« Er ist überzeugt, dass jeder ein Talent bekommen hat und die Kirchengemeinden in der Pflicht stehen, diese Talente zu entdecken, zu fördern und für sie Verantwortung zu übernehmen. Aber das Gegenteil sei der Fall: »Auf Diplome wird mehr vertraut als auf Talente«, so Wieditz. Das beginne für ihn schon in der Bezahlung der Organisten in einem Gottesdienst. Die ist abhängig von der Ausbildung: A- und B-Kantoren bekommen mehr als C- und D-Kantoren, die Vergütung für Laien ist noch geringer. »Und das, obwohl sie doch den gleichen Dienst tun«, so Wieditz. »Damit wird das Ehrenamt überstrapaziert.« Ärger empfindet er auch bei der oft getätigten Unterscheidung von Kirchenmusikern zwischen klassischer und moderner, weltlicher und geistlicher Musik. Dass die Orgel »nur für klassische Musik geschaffen sei« – für ihn eine unzumutbare Aussage.
Nico Wieditz bezeichnet sich selbst als sehr gläubiger Mensch: »Ich habe schon immer eine enge Bindung zu Gott.« Und konkretisiert diese Erfahrung als »eine Stimme, die mich schon immer geführt hat«. Nach Christenlehre und Konfirmation sei er der Menschen wegen der Kirche verbunden geblieben. 1996 begann er dann von einem Tag auf den anderen die Kirchenorgel zu spielen – weil es sich sein Urgroßvater am Sterbebett wünschte. Seitdem spielt er so, dass es nach ihm klingt. Und nicht nach Bach oder anderen Komponisten. »Jeder sollte so spielen, wie es ihm gefällt«, davon ist er überzeugt. Das tut er nun bereits seit über 20 Jahren, in jedem Gottesdienst, den er als Organist begleitet. Dabei wird es schon mal originell, wie kürzlich in Mühlhausen, als er zum Abendmahl »Eye of the Tiger« spielte.
Autor:Online-Redaktion |
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