Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen
Nach der Flucht ist es nicht vorbei
Die Stiftung Evangelische Jugendhilfe St. Johannis in Bernburg betreibt das Psychosoziale Zentrum für Migranten in Sachsen-Anhalt. Katja Schmidtke sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden Klaus Roth über diese besondere Hilfe.
Seit 15 Jahren besteht das Psychosoziale Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt. Welche Bilanz ziehen Sie?
Klaus Roth: Das Zentrum wurde 2006 von der Jugendwerkstatt Bauhof in den Franckeschen Stiftungen Halle gegründet. Nach deren Insolvenz bat uns 2012 das Land Sachsen-Anhalt die Arbeit des Psychosozialen Zentrums zu übernehmen. Im Jahr 2006 wurden 25 Menschen unterstützt. 2012 waren es rund 260, 2018 480 und im Jahr des Beginns der Corona-Pandemie 320 Frauen und Männer, die unsere Hilfe in Anspruch genommen haben.
Ist das Zentrum auch personell gewachsen?
Ja, es gab zunächst drei Therapeutenstellen, heute sind es 7,5 Vollzeitstellen. Eine Stelle Sozialbegleitung wurde auf drei aufgestockt. Wir haben also inzwischen 10,5 Stellen, die sich 20 Mitarbeiter teilen. Wir freuen uns besonders, dass es mit Hilfe von Staatssekretärin Susi Möbbeck gelungen ist, das Psychosoziale Zentrum als notwendige Einrichtung in Sachsen-Anhalt schon zwei Mal im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Nun arbeiten wir daran, eine institutionelle Förderung zu erhalten.
Das ist bislang nicht so? Wie wird die Arbeit finanziert?
Über zehn verschiedene Fördermittelgeber. Das macht zehn verschiedene Fördermittelanträge im Jahr. Die Kollegen, die diese wichtige Arbeit machen und Migranten beraten und begleiten, bangen also nahezu jährlich um ihren Arbeitsplatz. Wegen eines Formfehlers im Antrag haben wir im vergangenen Jahr fast neun Monate um 1,2 Millionen Euro Förderung gekämpft. Und das für eine Arbeit, die absolut notwendig ist!
Wie steht es um die mentale und psychische Gesundheit von Migranten?
Studien sagen, dass 70 Prozent der geflüchteten Menschen unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder an Depressionen leiden. Dieses Leid ist nach der Flucht nicht vorbei Im Gegenteil. Der Druck durch den schwebenden Bleibestatus, die Erwartungen der zurückgebliebenen Familie oder die Hoffnung, sie nachholen zu können – all das sind große Belastungen.
Sichtbarer ist in der jüngsten Vergangenheit das Leid von Transgender-Personen geworden, die in ihrem Herkunftsland, aber auch in ihrer jeweiligen Community hier in Deutschland sehr unter Druck stehen. Wir betreuen vier solcher Klienten, sie leben in Gemeinschaftsunterkünften, wo sie massiven Repressalien ausgesetzt sind, wird ihr Geheimnis gelüftet. In ganz Deutschland gibt es nur fünf Wohn-Plätze für geflüchtete Transgender-Menschen. Wir brauchen dringend mehr Schutzräume.
Wie finden Migranten den Weg zur Stiftung und ihren Angeboten?
Über Mundpropaganda, aber auch durch Sozialämter, die Zentrale Erstaufnahme-Einrichtung in Halberstadt, die Gemeinschaftsunterkünfte, über Ärzte und Rechtsanwälte.
Menschen, die sich an uns wenden, bekommen innerhalb von drei Monaten einen ersten Check und Gruppenangebote. Aber die Warteliste ist lang, eine Therapie beginnt meist erst nach acht bis zwölf Monaten. Die Nachfrage ist groß, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass nach Untersuchungen der Martin-Luther-Universität Halle zufolge nur rund vier Prozent der Geflüchteten ein psychiatrisches Angebot bekommt; davon erhält der Großteil dann Medikamente und keine Therapie. Wir brauchen mehr Angebote, denn in die Regelversorgung, also zu einem niedergelassenen Therapeuten, kommen diese Menschen nie.
Was würde die Arbeit verbessern und erleichtern?
Zum einen die schon erwähnte institutionelle Förderung. Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel die Anerkennung für ein Medizinisches Versorgungszentrum erhalten, wo wir Migranten behandeln dürfen, die eine Krankenversicherung haben. Das ist ein Novum in Deutschland und dank der guten Gespräche mit Krankenkassen, Ministerium und dem Psychotherapeutenverband gelungen. Zwei Kassensitze haben wir dadurch erhalten und somit mehr Personal, zwei Frauen sind dort tätig.
Zum zweiten braucht es auch in der Regelversorgung mehr Qualifizierung und Sensibilisierung: Es kann nicht sein, dass ein Krankenhaus einen suizidalen Migranten nach drei Tage einfach nach Hause schickt.
Sie sagten vorhin, viele Kollegen arbeiten in Teilzeit …
Ja, in diesem Beruf können Sie nicht 40 Wochenstunden arbeiten. Das ist eine sehr belastende Arbeit. Unsere Mitarbeiter machen Supervision, regelmäßige Runden der Selbstreflexion im Kollegenkreis und wenn nötig und gewünscht auch ein Einzelcoaching.
Autor:Katja Schmidtke |
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