Auf Umwegen zurück zur Martinskirche
Bildnis hängt jahrelang unerkannt beim ehemaligen Museumschef
Von Katja Schmidtke
Nahaufnahme: Langer weißer Bart, tiefe Falten, finsterer Blick. Und dennoch fühlte sich Jürgen Weigelt, ehemals Museumsdirektor in Bernburg, nahezu magisch angezogen von diesem dunklen Gemälde. Er ersteigert es vor mehr als zehn Jahren auf einer Auktion, fasziniert von einem eigenständigen Stil. Und, ja, auch weil es signiert und datiert ist. Georg Tronnier, 1903. Weigelt hängt sich das Bild
zu Hause in sein Herrenzimmer.
Lange Jahre geht er davon aus, es handele sich um ein Selbstporträt. Bis Zeit und Neugier reif für Recherchen sind. Im Künstlerlexikon findet er Tronniers Lebensdaten. Der Künstler wurde 1873 geboren; unmöglich, dass er sich 30 Jahre später als alten Mann selbst auf die Leinwand bannte. »Also telefonierte ich ein bisschen herum. Der Museumskollege aus Hannover gab den entscheidenden Hinweis, es handele sich um Conrad Wilhelm Hase.«
Jener Architekt Hase? Der königlich-hannoversche Baurat und Konsistorialbaumeister der Hannoverschen Landeskirche? Ja. Jürgen Weigelt muss schmunzeln. Ist das nun Zufall oder Fügung, fragt sich der Katholik. Und freut sich. Denn in seinem Herrenzimmer, das wird in diesem Augenblick klar, hängt seit mehr als zehn Jahren ein Porträt des Mannes, der die Gründerzeit in Bernburg entscheidend mitgestaltete – mit dem Bau der Martinskirche in der Bergstadt.
Conrad Wilhelm Hase (1819–1902) schuf rund 300 Bauwerke, darunter mehr als 100 Sakralbauten. Den Raum Hannover prägte er, sodass man statt Neugotik von »Hasik« sprach. Bis ins hohe Alter arbeitete der Architekt: Die Martinskirche in Bernburg wurde am 5. Oktober 1887 eingeweiht, nachdem im Lutherjahr 1883 erste Pläne zum Bau entstanden, erzählt der heutige Pfarrer Karl-Heinz Schmidt. Bernburg war damals eine wachsende Stadt, die Bindung an die Kirche selbstverständlich. Bis zu 12 000 Glieder zählte die Schlosskirchengemeinde – eine neue, zusätzliche Kirche wurde dringend gebraucht. Im September 1884 begannen die Bauarbeiten für die Martinskirche nach Plänen des Baurats Hase.
Ob sich damals kein anhaltischer Architekt fand und wer das Hase-Porträt 1903 posthum in Auftrag gab, das sind Fragen, die Pfarrer Schmidt noch nicht beantworten kann. Er hofft, dass es im Landeskirchenarchiv dazu Unterlagen gibt. Auch Jürgen Weigelt kann keine Angaben machen. »Bei Versteigerungen werden Provenienzen nicht bekannt gegeben«, sagt er. Dem Katholiken war jedoch klar, dass das Gemälde seinen Platz bei den evangelischen Brüdern und Schwestern finden soll. Es wird dieser Tage im Eingangsbereich der Kirche aufgehängt.
Pfarrer Schmidt hat recherchiert, dass zur Gründerzeit der Martinsgemeinde, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, rund 100 Paare getraut, 400 Menschen beerdigt und 400 Kinder getauft worden – jährlich. Heute sind es rund 20 Taufen im Jahr. Aber die neogotische Martinskirche erfährt seit zehn Jahren eine Renaissance. Mit dem Martinszentrum, das Kirche, Kita, Schule und Hort vereint, werden viele Räume zur Begegnung geschaffen.
Autor:Online-Redaktion |
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