Gott, der Menschenfreund - eine Weihnachtsbetrachtung
Das Kind in der Krippe, Maria und Josef, die drei Weisen aus dem Morgenland und über allem schwebt ein leuchtender Stern – Weihnachten.
Von Kirchenpräsident Joachim Liebig
Alle Requisiten sind bekannt; selbst kirchenferne Menschen können die Figuren dem Fest zuordnen. Alles scheint eindeutig zu sein. Überraschende Deutungen werden am Heiligabend immer wieder versucht – selten gewollt.
Eine Überraschung bildeten die Gottesdienste am vergangenen Weihnachtsfest. Für viele wurde erstmals deutlich, es handelt sich um eine Fluchtgeschichte: Der Kind gewordene Gott wird nicht auf Wunsch seiner Eltern unterwegs geboren. Eine von den Machthabern verfügte Volkszählung setzt die Menschen in Bewegung. Direkt nach der Geburt muss die junge Familie in ein Nachbarland flüchten, weil sie in Lebensgefahr ist. Diese Themenstellung in Verbindung mit dem Bild vom »Herze Jesulein« – wie es im Weihnachtslied »Lobt Gott, ihr Christen alle gleich« heißt – wirkte durchaus verstörend.
Der berechtigte Wunsch, in der alltäglichen Furcht und Sorge wenigstens am Heiligabend innehalten zu können, ist mehr als verständlich. Der fast biedermeierlich anmutende Wunsch nach Harmonie und Frieden hat seine Ursache aber nicht nur im Gesang der Engel, sondern in einem zutiefst verbindenden globalen Bedürfnis. Vordergründige Romantik hilft dabei freilich nicht weiter.
Ein genauerer Blick auf die bekannten Personen führt zum Kern der Geschichte. Der Betrachter muss dabei verschiedene Zumutungen ertragen. Die erste lautet: Es gibt Gott und er wird Mensch wie wir. In der überwiegend profanen Umgebung unserer Region ist damit die zentrale Hürde benannt. Für atheistisch geprägte Menschen könnte die Lösung in einem Gedankenexperiment bestehen: »Wie wäre es, wenn ich diese Tatsache als gegeben annehmen würde?« Unter dieser Hypothese erschlösse sich dann die nächste Zumutung: Warum sollte Gott Mensch werden? Das allerdings ist eine Frage, die sich auch Christenmenschen seit der Geburt in Bethlehem immer wieder stellen. Die großen Denkerinnen und Denker der Kirche haben sich damit befasst. Gott wurde Mensch, weil wir Menschen sind. Es ist Ausdruck höchster Wertschätzung des Schöpfers an seine Geschöpfe, sich mit ihnen gleichzumachen. Weil sich Gott mit uns gleichmacht, erträgt er nicht nur alle Aspekte unseres menschlichen Lebens. Weil Gott Mensch wird, wird unser Leben anders enden, als es der reine Augenschein nahelegt. Der Bogen, der Weihnachten beginnt, endet am Ostersonntag. Gott selbst überwindet für uns alle Not und beendet den Tod. Das ist die dritte Zumutung der Weihnachtsgeschichte, die Glaubenden wie Nichtglaubenden als die größte erscheint.
Christenmenschen unterscheiden sich von anderen dadurch, dass der Mensch gewordene Gott ihnen in der Heiligen Schrift, in Taufe und Abendmahl und im Gebet ein tragfähiges Gegenüber ist. Alle menschlich verständliche Furchtsamkeit und Not lassen sich damit anders ertragen; nicht als frommes Selbstgespräch oder selbstgeschaffener Notausgang aus eigener Unzulässigkeit. Lebendiger Glaube ist in gleicher Weise real wie der Verstand, der die Welt erschließt. Für glaubenserfahrene Menschen ist Weihnachten eine emotionale Erinnerung an diese Tatsache. Für glaubensferne Menschen ist Weihnachten – und sei es zunächst nur als Gedankenexperiment – eine gute Möglichkeit, der Menschenfreundlichkeit Gottes nahezukommen. Auch wenn die Bilder und Figuren alle bekannt zu sein scheinen, laden sie alle Jahre wieder zu einem ganz neuen Blick ein. Gottes Segen dazu wünsche ich uns allen.
Der Autor ist Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts.
Autor:Online-Redaktion |
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