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Die richtige Blicktechnik

Ronald Höpner, Pfarrer in Quellendorf | Foto: privat

Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
Johannes 16, Vers 16

Von Ronald Höpner

Was bin ich dankbar, dass ich diesen Text nachösterlich verstehen darf. Sonst ginge es mir wie den Jüngern. Das große Rätselraten. Was mögen diese Worte bedeuten? Nur noch eine Weile … Sieben Mal wiederholt sie Johannes.
Dabei dachte ich lange, wenn ich als Jünger zur Zeit Jesu gelebt hätte, wäre das Glauben viel einfacher! Doch Jesu Antwort klingt nicht weniger rätselhaft!
Nur gut, dass ich nachösterlich lebe. Ganz nach dem Prinzip Hoffnung. Oft schon habe ich in schwierigen Situationen genauso gedacht: »Nur noch eine kleine Weile, dann …« Manchmal nehme ich mir nach einem schwierigen Termin etwas Schönes vor.
Ich habe fürs Motorradfahren etwas gelernt, was auch auf mein Leben anzuwenden ist: Die Blicktechnik. Wo ich hinschaue, fahre ich auch hin – und am Anfang jeder Kurve soll ich schon auf ihr Ende schauen. Das muss ich immer wieder üben. Denn wenn es eng wird, wandert mein Blick unmittelbar vor das Vorderrad, ich werde unsicher, verliere den Blick für das Ganze. Oder ich starre auf das Hindernis und erwische es so ziemlich sicher.
Jesus lehrt uns hier die richtige »Blicktechnik« für unser Leben. Starrt nicht auf die Traurigkeiten und die Schwierigkeiten eures Lebens, sondern erhebt den Blick auf die Herrlichkeiten, die folgen werden.
Nur noch eine kleine Weile, »und euer Herz soll sich freuen«. Das hilft, gibt Kraft, erhebt meinen Blick aus der Kurzsichtigkeit des Leidens.
Es ist kein oberflächliches Vertrösten auf ein »später wird alles gut, warte nur …«, sondern es ermöglicht mir einen aktiven Umgang mit dem »noch nicht«.
Der Schmerz der Gegenwart wird nicht klein- oder weggeredet, sondern ernst genommen. Aber gleichzeitig relativiert. Indem ich mich an die Zukunft erinnere, wird die Gegenwart gestaltbar. Somit hat die zu erwartende Freude zwei Säulen. Die Erfahrung der Trauer, des Leids – und die Hoffnung. Das eine wäre unerträglich ohne das andere. Das andere jedoch nur halb so großartig ohne das eine. Die Freude des Herzens wird so groß, dass sie uns niemand nehmen kann und dass wir keine Fragen mehr haben.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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