Der Anstoß zur Veränderung kommt rechtzeitig
Die Landeskirche Anhalts will auf ihrem Weg in die Zukunft Neues ausprobieren. Was muss sich ändern? Was soll bleiben? Die Antworten darauf fallen unterschiedlich aus.
Von Angela Stoye
Als Bedenkenträger ist Albrecht Lindemann in seiner Landeskirche bislang nicht bekannt. Doch mit Blick auf das geplante Anhaltische Verbundsystem ist er nachdenklich geworden. Zwar sieht der Zerbster Pfarrer positiv, dass nach dem Perspektivpapier von 2008 einstmals ein landeskirchlicher Impuls zur Zukunft auf dem Tisch liegt. Und er sieht auch, dass die finanzielle Situation der Landeskirche es noch erlaubt, einen Prozess zur Veränderung einzuleiten, der nicht als Reaktion auf eine Krise wahrgenommen werden muss. Aber die fehlende Definition für die geplanten Verbünde und die damit einhergehenden Veränderungen sieht er kritisch.
Einer seiner Kritikpunkte ist die weitere Schwächung der Präsenz von Gemeindepfarrern. Diese lasse nach aktuellen Studienergebnissen kaum andere Perspektiven offen als den Niedergang des gemeindlichen Lebens bei gleichzeitigem Verlust an gesellschaftlicher Relevanz. »Die Stärken des landeskirchlichen Protestantismus sind eng mit der Kompetenz akademisch gebildeter Pfarrerinnen und Pfarrer verbunden«, sagt er. Ein Problem sieht er auch darin, dass die Verantwortlichkeit für das Agieren der Kirchengemeinde als öffentlich-rechtliche Körperschaft im Verbundmodell nicht geklärt ist. Mitarbeitenden auf den Gebieten der Kirchenmusik und Gemeindepädagogik und ihren Qualifikationen würde man nicht gerecht, wenn man sie als Alternative zu Pfarrpersonen sähe. Zudem fehle jegliche Aussage darüber, wie groß ein solcher Verbund sein soll und wie viele es in Anhalt davon geben soll. Albrecht Lindemann wünscht sich vor so grundlegenden Veränderungen zunächst eine gründliche Analyse der Situation einschließlich der mit den Teampfarrämtern gemachten Erfahrungen. Dazu einen Diskurs über die Frage, was für eine Kirche Anhalt sein will. »Dieser Diskurs muss mit den Gemeinden geführt werden«, fordert er.
Verantwortung übernehmen
Seit Sebastian Saß Kirchenmusik studierte, begleitet ihn intensiv die neutestamentliche Geschichte vom sinkenden Petrus (Mt 14,22–32) in Verbindung mit dem Choral »In allen meinen Taten« (EG 368). Seit er in Anhalt ist, fasziniert ihn zudem der Satz: »Die Landeskirche baut sich auf der Gemeinde auf.« Deshalb sieht der Bernburger Kreiskirchenmusikwart alle Überlegungen zur Zukunft der Landeskirche mit diesem Satz als Basis und mit dem Bild vom sinkenden Petrus als »Geländer«. Er findet, dass jeder Versuch, anderen die Verantwortung zuzuschieben – im Sinne von »die da oben« – ins Leere laufen muss. Ebenso, sich hinter Althergebrachtem zu verkriechen oder Althergebrachtes abzuschreiben, ohne Alternativen aufzeigen zu können. »Das gilt auch für mich selbst«, sagt er.
Zu erwarten, für die eigene Arbeit Vorgaben aus Dessau zu bekommen, stehe dem Selbstbewusstsein einer anhaltischen Kirchengemeinde schlecht an. Insgesamt überwiegt bei Sebastian Saß das Gefühl, dass der Anstoß zur Veränderung rechtzeitig kommt. »Die überaus große Chance besteht in meinen Augen darin, Gemeinden geistliches Leben zu ermöglichen und sie nicht weiter in Fürsorge und Versorgung durch das Erfüllen von Erwartungen zu ersticken.« Dass es Probleme geben wird, wenn alte Verhältnisse und traditionelle Erwartungen auf Neuerungen treffen, sieht er aber auch. »Was das Wesentliche ist, muss jede Gemeinde für sich herausfinden.« Das könne durchaus schmerzhaft sein. »Ich denke, einzig die Frage ›Was bedeutet mir und uns das Evangelium?‹ kann Licht ins Dunkel bringen.«
Christine Reizig, Landespfarrerin für Gemeindeaufbau, sieht das Vorhaben Anhaltisches Verbundsystem positiv. Sie erinnert an das Pastorale Zukunftsgespräch des Bistums Magdeburg vor einigen Jahren. Als Folge davon seien Pfarreien zusammengelegt worden. In jeder dieser vergrößerten Pfarreien würden neben dem Priester verschiedene Gemeindereferenten – für Jugendarbeit, Musik, Verwaltung – tätig sein. »Jeder kann das machen, wofür er gut ausgebildet ist«, sagt sie. In Anhalt werde es keine Rundumversorgung in jedem kleinen Ort geben. »Aber unser Kerngeschäft wie Gottesdienste, Andachten, Seelsorge, Bibelkreise soll für jeden erreichbar sein. Dafür müssen die von Verwaltungsaufgaben entlasteten Pfarrer Zeit haben.«
Auch im Kirchenkreis Ballenstedt stand das Thema »Verbundsystem« im vergangenen Jahr auf der Tagesordnung des Pfarrkonvents, der Kreissynode und der Gemeindekirchenräte. »Bei der konstituierenden Sitzung der Kreissynode im Januar 2018 haben wir einen Ausschuss gebildet, der das Vorhaben begleiten will«, sagt Kreisoberpfarrer Theodor Hering. Die Mitarbeit darin sei auf großes Interesse gestoßen. Der promovierte Theologe gehört der Steuerungsgruppe an, die sich mit dem Vorhaben seit 2015 befasst, und er hat ein theologisches Papier in die Diskussion eingebracht, das die Möglichkeiten der Bewegung »Fresh X« für Anhalt auslotet: Mit »Fresh expressions« (frische Ausdrucksformen) werden neue kirchliche Gruppen bezeichnet, die sich seit 1990 in der Church of England entwickelt haben. Die Bewegung zielt darauf ab, die Menschen in ihrem Alltag zu erreichen. Denn traditionelle Ausdrucksformen der Kirche, so die These, seien für einen Großteil der britischen Bevölkerung uninteressant geworden. In Deutschland setzt sich Michael Herbst, Professor für Praktische Theologie an der Universität Greifswald, für die Aufnahme dieser Idee in den evangelischen Landeskirchen in Deutschland ein (Quelle: Wikipedia).
Für mehr Vielfalt
»Anhalt ist auch Mitglied im Fresh-X-Netzwerk in Deutschland«, so Theodor Hering. Für ihn geht der Impuls für eine Umgestaltung der Landeskirche von der Formulierung im Glaubensbekenntnis aus: »die eine heilige, christliche und apostolische Kirche«. Diese könne sehr unterschiedliche Gemeindeformen haben – neben der Parochie zum Beispiel die Schulgemeinde, die Hauskirche oder Milieugemeinde, in denen Beziehungen gelebt werden. »Ich bin dafür, mehr Vielfalt zuzulassen«, sagt er. »Wir müssen ein betende und eine hörende Kirche sein: hören auf Gott und die Menschen, die um uns leben.« Bei »Fresh X« heißt es dazu: »Es ist nicht die Kirche Gottes, die einen missionarischen Auftrag in der Welt hat. Vielmehr hat ein missionarischer Gott eine Kirche in der Welt.«
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