Eintracht trotz Unterschieden
Anhaltgeschichte(n): Lutheraner und Reformierte lebten in den Fürstentümern über zwei Jahrhunderte zumeist friedlich zusammen.
Von Jan Brademann
Das Verhältnis von Reformierten und Lutheranern im 17. und 18. Jahrhundert bewegte sich zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite die Haltung, dass es ein friedliches Miteinander zwischen ihnen noch viel weniger geben könne als zwischen Lutheranern und Katholiken: Calvinisten seien »Feinde aller Ceremonien und guter Ordnungen«, befand 1620 der Dresdner Hofprediger Polycarp Leyser. Hieraus werde »offenbar, dass der Calvinisten Gott dem Teuffel ehnlicher sey denn dem wahren Gott«. Auf der anderen Seite die Beobachtung, dass die Trennung eine rein äußerliche Angelegenheit sei, die sich theologisch nicht halten lasse. 200 Jahre später schrieb etwa der Bernburger Superintendent Friedrich Adolf Krummacher, dass jedermann die Frage nach der Vereinigung der beiden Konfessionen »aus Herzensgrunde bejahen« müsse, da sie im Grunde auf dem Boden der einen, evangelischen Theologie stünden.
In Anhalt hat es, auch wenn hier das Prinzip »wessen Land – dessen Religion« galt, solche extrem intoleranten Einlassungen wie in Dresden 1620 nicht gegeben. Dies hat auch damit zu tun, dass hier »die anderen« nie weit weg waren. Sie boten sich daher als Projektionsfläche von Einbildungen des Bösen nicht an. Von Beginn der Zweiten Reformation (1596) an lernte man hier, mit der Differenz zu leben, und erlebte diejenigen, deren Konfession man ablehnte, von Angesicht zu Angesicht.
Mit dem Friedensvertrag von Osnabrück 1648 blieb zwar das Recht der Landesherren, das Bekenntnis im Land zu bestimmen, bestehen. Aber es sollte um territoriale Toleranzgesetze erweitert werden. Die Hausandacht und das Recht, außerhalb des Landes der eigenen Konfession nachzugehen, war seitdem das Mindeste, was die von der Staatskirche abweichenden Gruppen beanspruchen durften. In den anhaltischen Fürstentümern brach der Wechsel der Zerbster Linie zum Luthertum 1642 die konfessionelle Einheit der bis dato reformierten Dynastie auf. Auch die Fürsten mussten nun interkonfessionelle Verständigung lernen, denn diese war Voraussetzung, um als Dynastie einig zu sein. Einen ersten Schritt hierzu bildete der Zerbster Kirchen-Rezess von 1679. Er war für die nächsten 150 Jahre auch verfassungsrechtliches Regulativ der konfessionellen Zweiheit.
Und die Untertanen richteten sich entsprechend ein. Im reformierten Anhalt-Bernburg (30 000 Einwohner) hatten sich nach 1596 zwei Kirchen zu Inseln des Luthertums entwickelt: Rathmannsdorf mit der Filialkirche Hohenerxleben, wo die Familie von Krosigk das Präsentationsrecht besaß, und Hecklingen, wo die Familie von Trotha das Sagen hatte. Während in Rathmannsdorf die Patronatsherren ihr Präsentationsrecht wahren und eine lutherische Gemeinde aufbauen konnten, gelang das denen von Trotha in Hecklingen trotz mehrerer Prozesse nicht. Dennoch blieb die Gemeinde unter dem Einfluss des Trothaschen Hauspredigers weitgehend lutherisch.
Im benachbarten, offiziell reformierten Sandersleben waren laut Visitationsbericht von 1664 lediglich 74 Personen reformiert, aber 955 lutherisch. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie wenig der Konfessionsstand des Kirchspiels sich mit der konfessionellen Identität der darin lebenden Menschen deckte. Auch umgekehrte oder ausgeglichenere Verhältnisse kamen vor. Die konfessionelle Zweiheit zog sich durch jedes Kirchspiel.
Auf der Basis des Zerbster Rezesses kam es zur fallbezogenen Toleranzgesetzgebung. So gestattete zum Beispiel Fürst Johann Georg II. 1688 den Lutheranern in Dessau die Gründung einer Gemeinde. Auch in Köthen 1694 und Nienburg 1717 entstanden lutherische Gemeinden. In Bernburg durften Lutheraner nichts gründen, bekamen aber 1754 von Fürst Victor Friedrich das Privileg, sich in der Leichenhalle auf dem Bernburger Gottesacker vom Hecklinger Hausprediger das Abendmahl reichen zu lassen.
Die Zuordnung »lutherisch« und »reformiert« verschwand über die Jahrhunderte nicht. In den konfessionsverschiedenen Ehen wird das besonders deutlich. Sie waren Institutionen gelebter Toleranz, was aber die Aufrechterhaltung der Zweiheit einschloss: Im Zerbster Rezess war festgelegt worden, dass die Mütter über die Konfession der Töchter, die Väter über die der Söhne zu entscheiden hätten. Die Trennung lief durch die Familien und wurde durch den Geschlechterproporz fortgeschrieben. Während ein Konfessionswechsel reformierter Ehegatten verboten war, hätten lutherische durchaus reformiert werden können, ohne belangt zu werden. Doch in der Regel taten sie dies nicht.
Denn Konfession ist ja nicht allein Bekenntnis, sondern praktizierte Religion. Das heißt nicht nur, auf eine bestimmte Art die transzendente Welt zu denken. Vor allem über die Teilnahme an der Liturgie konstituiert sich immer auch Gemeinschaft. Zwar nahmen die Lutheraner an den reformierten Gottesdiensten in ihren Wohnorten teil, ließen dort ihre Kinder taufen und Angehörige beerdigen. Dennoch blieb ein Unterschied im persönlichen Glaubensleben und in der Gruppenzugehörigkeit. Dieser zeigte sich im Abendmahl – und setzte sich durch das Abendmahl immer wieder fort. Zwischen sechs und zwölf Mal im
Jahr zogen die Lutheraner aus reformierten Gemeinden in die nächstgelegene lutherische Kirche jenseits der Landesgrenze oder des adeligen Patronats – zum Beispiel von Opperode nach Meisdorf oder von Altenburg, Bernburg und Dröbel nach Nienburg. Auch Rathmannsdorf war Ziel des »Auslaufens«, wie der Vorgang genannt wurde. 1725 erreichte in dieser kleinen Gemeinde die Zahl der Kommunikanten mit 2 110 ihren Höhepunkt. Um 1800 gestatteten die Fürsten, dass die Lutheraner in – reformierten – Kirchspielen das Abendmahl von ihrem – reformierten – Pfarrer gereicht bekamen.
Die »Scheidewand« (Krummacher) zwischen den Konfessionen war also sehr dünn geworden. Mit der Fusion zu einer unierten Kirche im Jahr 1820 in Bernburg kam dann ihr Ende.
Autor:Online-Redaktion |
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