Kein dickes Konto, aber ein Traum
Viel Idealismus und Durchhaltevermögen brauchte eine Familie, um die verfallende Warmsdorfer Kirche zu retten. Heute dient sie als Wohnhaus und Pension.
Von Uwe Kraus
Von der Harzautobahn aus sieht man die Kirche des Dörfchens Warmsdorf zwischen Aschersleben und Staßfurt nur kurz vorbeifliegen. Wer sie verlässt, stößt schnell auf den Wegweiser zur »Pension in der Kirche«. Christiane Gerner und ihr Mann Klaus, die einst im benachbarten Güsten lebten, stellen klar: »Sieht zwar so aus, ist aber keine Kirche mehr.« Das ist seit 1974 so, als sie entwidmet wurde. 1985 schrieb der Gemeindekirchenrat, dass er bereit sei, das Kirchenschiff zum Abriss freizugeben. Weil Geld fehlte, stand das neugotische Gotteshaus baufällig bis zur Wende. Seit 1990 gehört es den Gerners. Ihr Sohn Sebastian brachte die Umbauidee aus der Jungen Gemeinde mit. »Sozusagen geschenkt gab es die Kirche, wir wollten mal darin wohnen. Einzige Auflage des Gemeindekirchenrates: Wir sollten die Läutemöglichkeit und die Kirchturmuhr erhalten«, erinnert sich Klaus Gerner, promovierter Maschinenbauingenieur und mit acht Berufen ein handwerkliches Multitalent und Erfinder.
Bald spürte er, dass der Zustand des Gebäudes noch kritischer war als vermutet. Was tun, wenn Kostenvoranschläge fern von Gut und Böse liegen; die Kirche plötzlich in die Denkmalliste aufgenommen wird, in der sie noch nie stand; die Bausparkasse kein Vertrauen in den Gerner-Plan hat und mit der Begründung »kein marktgängiges Objekt« beantragte Kredite ablehnt? Selbst, mit Familie und Freunden, anpacken. Die Gerners haben sich im Schottland-Urlaub umgeschaut und Ideen mitgebracht. Das Kirchenfenster »Jesus und die Samariterin« über ihrem Kamin ähnelt einem im nordenglischen York. Klaus Gerner brachte Bauzeichnungen aufs Papier. Acht Jahre wurde gebaut, Zwischendecke aus Hohlsteinen ins Kirchenschiff gezogen, Schiefer im Flutlichtschein bis in die Nacht hinein aufs Dach gelegt, die gotischen Spitzbögen der Fenster erhalten, eine Fußbodenheizung eingebaut. Von Sitzkästen aus, um das Gerüst zu sparen, deckte Gerner das Kirchendach mit. Tausende Stunden standen die Gerners mit ihren Helfern auf dem Bau. »Fertig wird man nie«, sagt Christiane Gerner. »Wir haben uns da reingefuchst«, ergänzt ihr Mann. Selbst alte Bauhasen schauten, wie ohne übermäßigen Technikeinsatz ein Dach ersetzt wurde, Gerner eine Betontreppe konstruierte, die die Holzstufen brandschutzgerecht ersetzt, oder die Decken entstanden. 1997 dann der Einzug in die unterste der vier Etagen. Wie oft Familie Gerner die Ruine verfluchte? Nein, mittendrin aufzustecken, das hätte nur Verluste gebracht. »Wir hatten ja kein dickes Konto, aber einen Traum.« Allein etwas Geld aus der Dorferneuerung floss für Schiefer und Fenster.
Buntglas, hergestellt im selbstgebauten Ofen, findet sich viel im rotbraunen Backsteinbau und wirkt wie eine Hommage an die ehemalige Nutzung. Überhaupt atmet das Gemäuer mit den Kronleuchtern und alten Möbeln den Charme der Geschichte. Lichtdurchflutet wirkt das Haus durch die spitzbogenförmigen Fenster, die fast sechs Meter vom Boden bis an die Decke reichen. Wenig blieb vom alten Kircheninventar. Wie die Turmuhr, die in einem Badezimmer integriert ist und »einen Blick durch die Zeit« in die Auen ermöglicht. Doch deren Acht-Meter-Pendel passten durch keine Zwischendecke. Wieder eine Modernisierungsaufgabe für Klaus Gerner. Fotozellen sorgen hinter den Kulissen dafür, dass das alte Uhrwerk trotzdem weiter läuft. Zur halben und vollen Stunde schlägt es von 7 bis 21 Uhr sogar die Glocke. Die thront 50 Meter von ihrem alten Joch entfernt auf einem Holzgestell. Manchmal, zu Beerdigungen, bitten Einwohner, sie von Hand zu läuten. Die echte Kirchturmspitze dagegen hatten Bergsteiger bereits 1981 de-
montiert.
In den ersten Jahren vermieteten Gerners die oben entstandenen Wohnungen in der Kirche. »So zu leben, dafür muss man geboren sein«, findet Christiane Gerner. »Irgendwann entschlossen wir uns, aus ihnen Pensionszimmer zu machen.« Klaus Gerner weiß, manche Dinge sind anders als in einem geplanten Hotel, doch viele Besucher finden es reizvoll, mal in einer Kirche zu übernachten. Oder den Tag im Frühstücksraum direkt über dem ehemaligen Altar zu beginnen. Er mag besonders die Gäste, die hier auf den Spuren des Reformationsfürsten Georg III. von Anhalt-Plötzkau unterwegs sind, die Architekten, die sich die gelungene Umnutzung eines Kirchengebäudes anschauen wollen, oder interessierte Pfarrer. Für sie schließt er mit dem riesigen Schlüssel aus alten Zeiten die Kirchentür auf.
»Als mal Vertreter der Landeskirche Anhalts vorbeischauten, boten sie mir an, noch eine andere entwidmete Kirche auszubauen«, erzählt Klaus Gerner. Trotz seines geballten Idealismus lehnte der 78-Jährige dankend ab.
Autor:Online-Redaktion |
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