Mehr Bekenntisfrömmigkeit, weniger Strukturen
Pfarrer Thomas Meyer ist Beauftragter für kirchliche Erkundungsräume und neue Gemeindeformen in Anhalt
Von Katja Schmidtke
»Eine Menge Fragen für Dich« ist die E-Mail überschrieben, die Thomas Meyer vor Gesprächsterminen aus dem Landeskirchenamt Dessau zu jenen Christenmenschen der Landeskirche Anhalts schickt, die ihn einladen. Wer investiert mehr in Deinen Glauben, Du oder Gott? Was ist im Moment für Dich das Wichtigste, was in der Kirchengemeinde zu tun wäre? Ab wann ist eine Gemeinde eine Gemeinde?
Viele Fragen, viele Antworten. Dutzende Gespräche hat Thomas Meyer geführt, seit er im Februar vorigen Jahres seinen Dienst als Beauftragter für kirchliche Erkundungsräume und neue Gemeindeformen begonnen hat. Die Stelle wurde auf Initiative von Kirchenpräsident Joachim Liebig geschaffen, der trotz oder gerade wegen des engen Korsetts der Zahlen und Arbeitsgebiete der Ansicht ist, dass dieser Zustand nicht alles sein kann. Eine anhaltische Antwort auf die Erprobungsräume der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland ist Pfarrer Meyers Aufgabe nicht. »Wir erproben nicht, wir erkunden«, sagt er.
Aus eigenem Erleben weiß er, was Kirche vor Ort prägt; 30 Jahre war er im Pfarrdienst tätig. »Und jetzt merke ich, wie oft das System vorausschauend leidet«, sagt er. Viele Haupt- und auch Ehrenamtliche seien so beschäftigt, dass Freiräume eng werden. »Ich habe noch keinen Hauptamtlichen getroffen, der sich nicht überlastet fühlt«, berichtet der Pfarrer.
Die zweite Erkenntnis: Kirche wird zu oft als Verwaltungsorganisation empfunden. Jährlich verliert die Landeskirche Anhalts doppelt so viele Gemeindeglieder wie sie dazugewinnt. Die Frage, die sich deswegen viele jener Menschen stellen, die »ihr Bestes und über ihr Vermögen hinaus geben«, ist: Welche Möglichkeiten bleiben uns? Was bleibt übrig, wenn Kirche nicht mehr ist, wie sie heute ist, wenn kein Pfarrer mehr käme, kein Gottesdienst gefeiert würde, kein Gemeindebeitrag mehr zu leisten wäre? »Diese Entwicklung sollten wir nicht als Defizit wahrnehmen, sondern darauf können wir aufbauen.«
Hier sieht Thomas Meyer einen zweiten Arbeitsschwerpunkt: Menschen zu ermutigen und zu unterstützen, neue Ideen und Formen von Gemeinde umzusetzen. »Ich möchte eine Bekenntnisfrömmigkeit fördern, die wenig Strukturen und wenig Haushaltsmittel braucht«, wünscht sich Meyer. Gemeinsam Bibel lesen, singen, beten, ein Fest feiern – das sei einfach, das sei der Kern, das sei Gemeinschaft und die, die es wollen, können es selbst tun und sind dabei weder auf gewohnte Formen noch feste Orte angewiesen. Es geht, so Meyer, um die Wiederentdeckung einer Spiritualität, die einlädt und ausstrahlt. So einfach und doch so schwer.
Das Gleichnis vom verlorenen Schaf deutet er in der heutigen Situation so: Wenn von 100 Schafen inzwischen nur noch eines beim Hirten ist, sollte er doch längst nach den 99 verlorenen suchen. Nach Meyers Ansicht braucht Kirche heute viel mehr Menschen, die auf »verlorene Schafe« zugehen und ihnen vom Evangelium erzählen. Er nennt sie, ohne despektierlichen Beiklang der Kommerzialisierung, Verkäufer und Vermarkter. Sie tragen mit authentischer Stimme dorthin das Evangelium, wo Ottonormalverbraucher seinen Alltag verbringt.
Thomas Meyer vertraut darauf, dass Gott uns offene Türen zeigt. Wer neue Wege gehen möchte, kann darüber mit ihm ins Gespräch kommen. Gerne kommt er auch zu Vorträgen und Gesprächen zu den Themen »Zur Not geht’s auch mit Pfarrer!« und »Zuviel Bibellesen macht blind!« in die Gemeinden.
Kontakt: thomas.meyer@kircheanhalt.de
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.