100 Jahre Thüringer Landeskirche
Gedenkgottesdienst an die wechselvolle Geschichte
In einem kleineren Rahmen als geplant wurde heute in der Eisenacher Georgenkirche die Gründung der Thüringer Landeskirche vor 100 Jahren gefeiert. Wegen der begrenzten Sitzplätze für den Gottesdienst gab es auch eine Übertragung in die Nikolaikirche. Anstelle einer Podiumsdiskussion wurden einzelne Statements zur langjährigen Geschichte der Landeskirche formuliert.
Von Beatrix Heinrichs, Mirjam Petermann, Paul-Philipp Braun und Willi Wild
Neben der Kirchengemeinde begrüßte der Superintendent des Kirchenkreises Eisenach-Gerstungen Ralf-Peter Fuchs "viele bekannte Gesichter": der letzte Landesbischof der ehemaligen Thüringer Landeskirche, Christoph Kähler, sein Vorgänger Altbischof Roland Hoffmann, die erste Bischöfin der vor elf Jahren neu gegründeten Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, aktuelle und ehemalige Pröpste, Superintendenten und Pfarrer. Auch recht lang war die Reihe der Absage für diesen Gottesdienst. Die Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf ließ sich ebenso wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow entschuldigen, auch der letzte Synodalpräsident der Thüringer Landeskirche, Steffen Herbst, konnte kurzfristig nicht teilnehmen.
Einen kurzen geschichtlichen Abriss zur Thüringer Landeskirche betonte Altbischof Kähler die einstigen Grundfeste der im Schnellverfahren gegründeten Kirche: Lutherisch und vom Volk getragen sollte sie sein. Er sparte nicht an kritischen Tönen bezüglich der wechselvollen Geschichte, bedingt auch durch zwei Diktaturen. "Das endgültige, und hoffentlich gnädige Urteil darüber", so sagte er, "wollen wir Gott überlassen."
Als Predigttext wurden ganz bewusst Verse aus Johannes 4 gewählt. Dort sagt Jesus zur Frau aus Samarien: "Das Heil kommt von den Juden". Damit sollte der 100-jährigen Geschichte ein klares Wort gegenüber gestellt werden, betonte der Landesbischof der EKM, Friedrich Kramer. Auch er wählte versöhnliche Wort für den Rückblick: "Das was nicht von Gott war, wird vergehen, was von Gott war, wird bleiben". Zugleich lenkte er den Blick auch auf das, was nun vor den Kirchen der ehemaligen Thüringer Landeskirche liegt, der Weg in die Disapora. "Im Geist und in der Wahrheit", wie es im Predigttext heißt, sollen sie lebendige Quellen bleiben, allen Veränderungen zum Trotz.
Thüringens Altbischof Christoph Kähler hat sich im Vorfeld des Gottesdienstes für die bessere Erforschung der Geschichte der evangelischen Landeskirchen ausgesprochen. So gebe es wohl Überblicke und Detailstudien zur sogenannten Entnazifizierung, aber kaum systematische Darstellungen der Verfahren und ihrer Ergebnisse, sagte der Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Erfurt. Erst eine aus den Quellen gearbeitete Gesamtschau oder mehrere gleichartige Untersuchungen böten die Grundlage für den kritischen Vergleich der sehr verschiedenen deutschen Landeskirchen, sagte er anlässlich der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen der evangelischen Kirche in Thüringen an diesem Sonntag.
Nachholbedarf sieht Kähler vor allem für die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland. Aber auch für die DDR-Zeit sieht der Theologe, der 2001 bis 2008 als letzter Landesbischof die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen anführte, weiterhin Forschungsbedarf. Als Beispiel nannte er das Agieren der Thüringer Kirchenleitungen. «Diese haben zeitweise die Nähe zu den diktatorisch Regierenden ohne die notwendige Abstimmung mit den anderen sieben Kirchenleitungen gesucht», sagt er. Das habe aber in Gemeinden und in der Landessynode eine heftige Opposition hervorgerufen, die als Bewegung in der Tradition der Bekennenden Kirche stehe und bis heute als Lutherische Bekenntnisgemeinschaft kirchliches Leben im Land präge.
100 Jahre nach Gründung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Thüringen warnte er vor Pauschalurteilen. Der Titel einer aktuellen Tagung der Evangelischen Akademie «Erst braun, dann rot?» fasse ein allgemeines Vorurteil prägnant zusammen, das aber der höchst verwickelten Geschichte nicht gerecht werde. «Dass die Kirchenleitung braun war, bedeutet ja nicht, dass alle Gemeindeglieder und die ganze Pfarrerschaft fanatische Nationalsozialisten waren», erklärte er. Es habe hier - wie in anderen Landeskirchen - Täter, Opfer und Gegner der Nazis gegeben.
Zu den Merkpunkten der Kirchengeschichte in der DDR gehört aus Kähler Sicht, dass die Alleingänge der Thüringer ohne Absprache mit den anderen Landeskirchen nach der Wahl von Werner Leich 1978 zum Landesbischof beendet wurden. Leich sei es auch gewesen, der die missverständliche Formel von der «Kirche im Sozialismus» 1988 aufkündigte.
Hintergrund
Nach der Aufhebung der Monarchie im Jahr 1918 beschlossen am 15. November führende Kirchenmänner der ehemaligen Herzogs- und Fürstentümer auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Thüringen eine einheitliche Organisation des Kirchenwesens. Am 5. Dezember 1919 tagte die erste Synode und beschloss den Zusammenschluss von sieben eigenständigen Landeskirchen zur einheitlichen "Thüringer Evangelischen Kirche".
Dies geschah noch vor der Gründung des Landes Thüringen im Jahr 1920 und wie im Fall des Staatswesens auch unter Ausschluss der preußischen Gebiete (zum Beispiel Erfurt). Am 13. Februar 1920 wurde die Kirche formell errichtet, das Landeskirchenamt kam nach Eisenach. 1924 erhielt die neue Kirche eine Verfassung. 1934 schloss sich die Evangelisch-Lutherische Kirche des ehemaligen Fürstentums Reuß ältere Linie an, womit die Landeskirche ihren endgültigen Umfang erreichte.
Galt die Landeskirche in der Zeit der Weimarer Republik zunächst noch als tolerant - konservative Lutheraner, liberale Protestanten, religiöse Sozialisten und deutsche Christen konnten aktiv werden - ergab sich eine Mehrheit ihrer Mitglieder nach dem Aufstieg der Nationalsozialisten der Gleichschaltung. Offen rassistische und antisemitische Kräfte wie die "Deutschen Christen" gewannen an Bedeutung. 1939 wurde in Eisenach das sogenannte "Entjudungsinstitut" gegründet.
1948 erhielt die Landeskirche eine neue Verfassung. Danach nannte sie sich "Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen". Die Kirche trat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei und war Gründungsmitglied der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Unter der Leitung von Moritz Mitzenheim (Landesbischof von 1945 bis 1972) wurde der "Thüringer Weg" etabliert. Die Alleingänge der Thüringer gegenüber dem Staat ohne Absprache mit den anderen Landeskirchen endeten 1978 mit der Amtsübernahme von Werner Leich (Landesbischof bis 1992), der auch ein Jahr vor der friedlichen Revolution die missverständliche Formel von der "Kirche im Sozialismus" aufkündigte.
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