Freitag, vor eins...
Unsere Seite 1 - Soundtrack zum Sterben
Im vergangenen Jahr habe ich im Kommentar zum Ewigkeitssonntag über die am häufigsten auf Beerdigungen gespielten Lieder geschrieben. Auf diese Liste würden es die beiden Lieder, die ich in diesem Jahr auf einer Beerdigung hörte, wahrscheinlich nie schaffen: "Hakuna Matata" aus "Der König der Löwen" und "Everybody" von den Backstreet Boys.
Gestorben war ein 30-Jähriger, mit Covid-19 hatte sein Tod nichts zu tun. Vor der Trauerhalle hatten sich in großen Abständen unzählige junge Leute, Kumpels und Arbeitskolleginnen, die Familie versammelt. Es sollte kein trauriges Fest werden - ohne Trauerkleidung - der Verstorbene hätte es nicht gewollt. Deshalb auch die Liedauswahl.
Doch für die Anwesenden war das ein unerfüllbarer Anspruch. Zu unmöglich schien es sich der Tragik zu entziehen, dass Eltern ihren Sohn beerdigen, statt ihr Enkelkind kennenzulernen. Zu groß die Last der Trauer darüber, dass der Kollege am Montag nicht wieder am Schreibtisch gegenüber sitzt und über seine Pläne und Ideen spricht. Zu unvorstellbar, dass er auf der nächsten Party nicht dabei sein wird.
Doch wo ist er? Ende letzten Jahres erzählte mir jemand, dass er auf einer Beerdigung an meinen Kommentar denken musste, als die Trauerrednerin von einem Sonnenland sprach, in das der Verstorbene hinübergeht. Er fand es sehr befremdlich, Trauernden sowas zu erzählen und meinte, dass die Vorstellung vom Ewigen Leben da um einiges konkreter sei – nichts also womit wir hinterm Berg halten müssten.
Und dennoch ist es schwer. Das habe ich auch auf dieser Beerdigung wieder gemerkt. Und viele von uns merkten das in den vergangenen Monaten immer wieder. Als einfache Gemeindeglieder, als Seelsorger und Pfarrerinnen - leitende Geistliche ebenso wie ganze Gemeinden. Es schien im Frühjahr öfter so, als fehle ihnen und uns allen die Hoffnung.
Das Kirchenjahr macht es uns in diesen Tagen leichter, bewusst auf diese Hoffnung zu schauen. Es erinnert uns mit dem Buß- und Bettag, dem Ewigkeitssonntag und der kommenden Adventszeit daran, dass wir uns der Angst und der Hysterie entziehen können, indem wir unseren Blick auf den lenken, der uns den Zugang zur Herrlichkeit Gottes in Ewigkeit eröffnet hat.
Wissen Sie eigentlich schon, welche Lieder auf Ihrer Beerdigung gespielt werden sollen? Haben Sie einen Soundtrack der Ihr Sterben begleiten soll? Es gibt eine Platte, das mich schon durch einige Trauerzeiten begleitet hat. Der Country-Sängers Johnny Cash hat die Lieder seines posthum veröffentlichten Albums "Ain’t No Grave" innerhalb weniger Monate vor seinem Tod aufgenommen. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits schwer krank, saß im Rollstuhl und war fast blind.
Dass er sein Leben gelebt hat und in tiefem Frieden aus diesem Leben gehen würde, das kann man tatsächlich hören, so scheint es. Ich würde mir wünschen, es ihm irgendwann gleich tun zu können. Und seine Worte könnten auch meinen Hinterbliebenen ein guter Trost sein - bei den Backstreet Boys wäre ich mir da eher nicht so sicher.
Mit den letzten Dingen befasst sich auch die aktuelle Ausgabe Ihrer Kirchenzeitung. Wir wünschen gute Lektüre und einen getrosten Ewigkeitssonntag.
Unsere Themen:
Ihr schwerer Weg: Katrin Hartung hat mit dem Tod ihres nur ein Jahr älteren Bruders einen harten Schicksalsschlag zu bewältigen. Die Corona-Beschränkungen für Trauernde hält sie für fragwürdig.
Sein letzter Weg: Auf Jürgens Grab liegen keine Blumen. Er war 61, als er starb und hatte niemanden, der ihn auf seinem letzten Weg begleiten wollte. Über seiner Grabstelle schwebt die Frage: Wie hat ein Mensch gelebt, der so einsam bestattet wird?
Der schnellste Weg aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zum Zentralfriedhof in Wien war einst die Straßenbahn - "den 71er nehmen" ist bis heute ein geflügeltes Wort. Das galgenhumorige Verhältnis der Wiener zum Tod ist in ihrem städtischen Bestattungsmuseum abgebildet.
Außerdem:
Coronakonformer Disput: Kirchenältester Eckart Behr und Superintendentin Beate Marwede über Kirche und ihr (fehlendes) Engagement in diesen Zeiten.
Jugend willkommen: Der 19-jährige Theologiestudent und EKM-Synodale Arvid Büntzel möchte in seinem Ehrenamt für junge Leute Türen zum Glauben öffnen.
100. Geburtstag: Am 23. November vor 100 Jahren wurde Paul Celan, der Dichter der »Todesfuge«, geboren. Seine Gedichte gelten als hermetisch, aber bei genauerer Betrachtung erweisen sie sich als erstaunlich konkret.
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Autor:Mirjam Petermann |
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