Abendmahl
Die Suche nach der richtigen Form
Die Diskussion ist nicht neu, aber die aktuelle Situation fordert klare Antworten und konkrete Handlungen bezüglich der Nutzung von Einzelkelchen in evangelischen Gottesdiensten.
Von Armin Pöhlmann
Das erste Mal, dass ich Einzelkelche in Aktion gesehen habe, war in Württemberg. Als Studenten in Tübingen hatten wir gehört, dass in großen Teilen der württembergischen Landeskirche die Einzelkelche üblich sind – und wir haben uns natürlich darüber lustig gemacht: Das ist ja wie bei der Weinprobe, sagten wir. Eines Besseren wurde ich belehrt, als ich das erste Mal in einer kleinen Dorfkirche an einem Abendmahl mit diesen kleinen Kelchen teilnahm. Mit großer Würdigkeit und Ehrfurcht ging das vonstatten. Es war eben ein richtiges Abendmahl.
Der Gemeinschaftskelch in unseren evangelischen Kirchen ist in der Krise. Wie soll es weitergehen? Vor zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren habe ich das erste Mal davon gehört, dass Menschen Schwierigkeiten damit haben, aus einem Kelch zu trinken. Damals konnte man diese einzelnen Bedenken noch abtun. Das Abendmahl bewegte sich zu jener Zeit immer weiter in Richtung eines echten Gemeinschaftsmahles, und dazu gehörte der gemeinsame Kelch, der auch oft unter den Gemeindegliedern herumgereicht wurde.
In den vergangenen Jahren ist allerdings die Gruppe der Menschen mit Bedenken sichtbar gewachsen. Es gab regelmäßige Grippewellen. Die Desinfektionstücher am Altar wurden in vielen Gemeinden Standard. Die Zahl derer, die die Hostie in den Kelch eintunken, statt zu trinken, ist ebenfalls gestiegen. Bei einem Agapemahl mit Konfirmanden, bei dem wir den Kelch herumgehen ließen, las ich auf den Gesichtern der jungen Menschen mehr Ekel als fröhliche Gemeinschaft, kaum jemand hat getrunken. Nach einer Goldenen Konfirmationsfeier, die ich als „Testballon“ mit einzelnen Gläsern gefeiert hatte, kam eine Jubilarin auf mich zu und bedankte sich – sie habe sich vor dem Abendmahl gefürchtet, aber so konnte sie gut teilnehmen, so sagte sie.
Das bedeutet: Der heiligste Ritus, den wir haben, wird von vielen Menschen mittlerweile mit unguten Gefühlen verknüpft. Das ist kein guter Zustand, und Kirche muss sich diesem Problem stellen. Wenn auch nur ein Mensch dem Abendmahl fernbleibt, weil er Angst hat, er könne sich dabei mit etwas infizieren, dann darf das nicht so bleiben – und das ist sogar unabhängig von der tatsächlichen Ansteckungsgefahr.
Zwei Punkte sind dazu wichtig, und sie führen uns über unseren eigenen kirchlichen Horizont hinaus: Zunächst einmal schätze ich, dass die Mehrzahl der Gemeinden, die aus der Reformation hervorgegangen sind, Einzelkelche in irgendeiner Form benutzt. Reformierte, Lutheraner, Methodisten, Baptisten weltweit kennen kleine Kelchlein oder Gläschen beim Abendmahl. Das ist für sie ganz selbstverständlich, manchmal einfach aus logistischen Gründen, und manchmal sind es leider oft auch Einwegbecher. Ein reformierter Christ aus Indien sagte einmal lachend zu mir: „Früher waren wir unzivilisiert und haben aus einem Topf getrunken“ – er spielte auf die vorchristliche Zeit an – „jetzt sind wir zivilisiert und haben Gläser.“
Der zweite Punkt: Wenn ein alter Ritus in die Krise gerät, ist Offenheit und Kreativität vonnöten. Die europäische Christenheit hat vor Jahrhunderten aus logistischen Gründen angefangen, das Brot als Hostie vorportioniert auszuteilen und nicht mehr, wie Jesus einst, zu brechen. Daran haben wir uns gewöhnt. Es gibt auch Christen in anderen Ländern, die etwas anderes als Brot und Wein benutzen, weil Brot und Wein ihrer Kultur fremd sind oder Wein bei ihnen gar nicht zu bekommen ist.
Ich habe vor kurzem das erste Abendmahl in der Coronazeit gefeiert, und wir hatten Hostien und Weintrauben. Beim zweiten Mal habe ich aus dem gemeinschaftlichen Kelch in Becher hinein eingeschenkt, die sich die Teilnehmer vorher genommen hatten.
Wir alle haben ein Bild davon, wie ein Abendmahl für uns „schön“ oder „würdig“ ist. Doch das unterscheidet sich mitunter. Deshalb muss in den Gemeinden darüber geredet werden. Es darf aber auf keinen Fall nur theoretische Diskussion bleiben. Ob eine Abendmahlsform gut ist, kann man erst sagen, wenn man ausprobiert hat, wie sie sich anfühlt. Man kann durchaus einmal eine andere Form wählen und sich erst nachher darüber austauschen.
Wichtig ist, dass Offenheit für Neues vorhanden ist, dass aber ein Beschluss auch einmütig fällt. Ich habe einmal in einer Gemeinde ein Abendmahl miterlebt, da trug der Pfarrer Einzelkelche und einen Gemeinschaftskelch auf einem Tablett herum, weil sich der Gemeindekirchenrat nicht hatte einigen können. Darin erkannte man beim Abendmahl eher eine Spaltung als echte Gemeinschaft.
Der Autor ist Pfarrer an der Eisenacher Nikolaikirche.
Anregungen für Gespräche zur Abendmahlspraxis
• Was ist eigentlich für uns wichtig? Was macht das Abendmahl für uns zu einem besonderen, heiligen Mahl?
• Wie würde Jesus heute und bei uns mit seinen Jüngern feiern? Das erste Abendmahl war ein besonderes, feierliches Mahl gemäß der damals üblichen Sitten der Feierlichkeit.
• Welche Art von Gefäßen nehmen wir? Wenn wir uns für Einzelkelche entscheiden, holen wir uns schnell ein paar Schnapsgläser von IKEA, oder brauchen wir Metall- oder Tonbecher? Mit einer unbedachten Optik kann man schnell falsche Gedankenverknüpfungen erzeugen.
• Wenn es wichtig ist, dass Jesus uns den Wein reicht, könnte es ein Problem sein, wenn wir einen gefüllten Becher von einem Tablett nehmen müssen. In vielen Ländern nehmen sich die Teilnehmenden einen leeren Becher und der Liturg schenkt ihnen aus einer Kanne oder einem Gießkelch ein.
Autor:Online-Redaktion |
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