»Ein Deutschland soll seyn«
Burschenschaftler nehmen vor 200 Jahren Luther für sich in Beschlag. Gedanken von damals finden sich sogar noch im heutigen Grundgesetz. Das Wartburgfest hatte aber auch eine aggressive Kehrseite.
Von Nils Sandrisser
Es ist gegen zehn Uhr morgens am 18. Oktober 1817, als Hunderte Studenten und einige Professoren in einer langen Reihe von Eisenach den Weg hinauf zur Wartburg gehen. Hier wollen sie ein Fest feiern. Nach einem Anlass haben sie nicht lange
gesucht, sie hatten gleich zwei: Das
300. Jubiläum der Reformation steht bevor, außerdem feiern sie den vierten Jahrestag der sogenannten Völkerschlacht bei Leipzig, bei der Napoleon eine Niederlage erlitt.
Natürlich ist das Wartburgfest vor 200 Jahren vor allem politisch. Die Versammlung ist eine liberale Protestkundgebung gegen reaktionäre Politik und Kleinstaaterei und propagiert einen Nationalstaat mit eigener Verfassung und demokratischen Grundrechten. Eingeladen hat die Jenaer Urburschenschaft, eine Studentenvereinigung, die sich einem einigen Deutschland verschrieben hat. »Die Jenaische Burschenschaft muss sich der Zustimmung der Behörden ziemlich sicher gewesen sein«, erklärt der Historiker Peter Kaupp, »denn bei der Einladung lag noch keine Zustimmung vor«. Die Studenten bauten auf Großherzog Karl August von Sachsen-
Weimar-Eisenach, der als Monarch mit relativ liberalen Ansichten galt.
Im Rittersaal der Wartburg versammeln sie sich. Einzelne treten vor und halten Reden, begleitet von Hoch-Rufen. Studenten der katholischen Universitäten sind nicht eingeladen, das Wartburgfest ist eine protestantische Veranstaltung. Die Wartburg gilt als Nationalsymbol, die Übersetzung der Bibel durch Luther als Zeichen gegen jede Beherrschung durch fremdes Kulturgut. Die Studenten hätten sich gegen die Dominanz des Französischen positionieren wollen, und da hätte eben ein Vorbild hermüssen, sagt der Historiker Andreas Fahrmeir von der Frankfurter Goethe-Universität.
Eine Fahne mit den Farben Schwarz-Rot-Gold haben die Studenten auch dabei – es ist die Fahne der Jenaer Urburschenschaft. Sie zeigt da aber noch nicht die heutige Anordnung der Farben, sondern ist rot-schwarz-rot gestreift. Golden sind lediglich ein abgebildeter Eichenzweig in der Mitte und die Fransen um das Tuch herum.
Im Rittersaal singen noch alle den Choral »Nun danket alle Gott«. Dann, gegen 14 Uhr, machen sie sich wieder auf den Rückweg nach Eisenach. Nach dem Fest notiert der Jenaer Professor Heinrich Luden die Gedanken, die in den Reden im Rittersaal anklangen: »Ein Deutschland ist, Ein Deutschland soll seyn und bleiben.« Einige Punkte, die er nach dem Wartburgfest niederschreibt, finden sich später in der ersten gesamtdeutschen, allerdings nie ratifizierten Verfassung der Frankfurter Paulskirche von 1848 und sogar im heutigen Grundgesetz. Aber bereits während des Fests zeigt das noch junge Nationalgefühl, dass es nicht nur ein einendes Band ist, sondern auch eine aggressive Kehrseite hat. Am Abend des 18. Oktober ziehen die Studenten wieder aus Eisenach hinaus, diesmal auf den der Wartburg benachbarten Wartenberg. Hier zünden sie im Gedenken an die Leipziger Völkerschlacht Siegesfeuer an.
In die Flammen werfen sie Schriften und polemisieren gegen Autoren, die ihnen nicht genehm sind, weil sie beispielsweise gegen das Burschenschaftertum anschreiben. »Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren«, kritisierte Heinrich Heine (1797–1856), der selbst Burschenschaftler, aber bei dem Fest nicht dabei war, und weiter: »Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes war als Hass des Fremden, dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wusste,
als Bücher zu verbrennen.« (epd)
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