Ketzer oder Glaubenslehrer
»Eine Marktlücke« nannte der katholische Bischof Ulrich Neymeyer die neue Sonderausstellung im Eisenacher Lutherhaus. Sie befasst sich mit der Darstellung Luthers aus katholischer Sicht und zeigt, wann und wie sich diese veränderte.
Von Mirjam Petermann
Besieh deshalb den Luther hinten und vorn und auf allen Seiten unten und oben: So ist er halt ein großer Unflat und hat das Maul voller Dreck; und je mehr man seinen Dreck rührt, je mehr stinkt er.« So und noch viel schlimmer dachten und redeten vor fast 500 Jahren viele katholische Theologen über den heute, auch von ihrer Kirche, gefeierten Martin Luther. Denn auch aus ihren Reihen sind inzwischen Worte wie »Vater im Glauben« oder »ein beeindruckender Gottsucher« über den Reformator zu hören.
Eine deutschlandweit einmalige Ausstellung zum Reformationsjubiläum dokumentiert nun diese Veränderung, die im Allgemeinen weitgehend unbekannt ist. Zur Darstellung dessen wurde eine innovative und beeindruckende Schau mit dem Titel »Ketzer, Spalter, Glaubenslehrer – Luther aus katholischer Sicht« konzipiert. Um sie überhaupt in ihrer ganzen Fülle erfassen zu können, erhält man am Eingang eine rot-blaue Brille. Sie sorgt dafür, dass entweder die katholische oder die evangelische Sicht auf Luther betrachtet werden kann. Ein und dasselbe Bild wird dann ganz unterschiedlich aussehen. Die Grafiken, Texte und Schaubilder sind auf Kisten gedruckt, die den Besucher räumlich wie inhaltlich durch fünf Stationen der katholischen Luthersicht führen.
Anders als eine klassische Ausstellung biete sie so eine andere Ästhetik, einen anderen Zugang, sagt der Kurator des Lutherhauses, Jochen Birkenmeier. Das ist entscheidend, denn die Schau versteht sich auch als Ergänzung und Kontrast zur großen nationalen Ausstellung auf der Wartburg.
Ausgangspunkt der Präsentation sind die gemeinsamen Wurzeln und Luthers Absicht, die Missstände zu beseitigen und nicht die Kirche zu spalten. Kapitel zwei beleuchtet die Zuspitzung des Konflikts mit den unüberwindbaren Gegensätzen. Auf katholischer Seite entstand in dieser Zeit ein polemisch verzerrtes Lutherbild, das über nahezu vier Jahrhunderte relativ konstant blieb. Der dritte Schwerpunkt liegt auf der Zeit des preußischen Kulturkampfes zwischen 1871 und 1887, in der Luther eine weitere Abwertung erfuhr. Denn »je mehr die Protestanten Luther zum Heiligen stilisierten, umso harscher hielten die Katholiken dagegen«, erklärt Birkenmeier.
Erst nach der Beilegung dieses politischen Konflikts setzte eine langsame Versachlichung in der Debatte um die Person Luthers ein, wie der vierte Abschnitt der Ausstellung zeigt. Durch die Veränderung der politischen Situation Anfang des 20. Jahrhunderts befanden sich die Kirchen zunehmend in der Defensive. So kam nach dem Ersten Weltkrieg, angesichts der Bedrohung durch Kommunismus und Faschismus, zunehmend die Einsicht: »Der Feind ist eigentlich nicht die andere Konfession, sondern der Atheismus, das Konfessionslose«, so Birkenmeier.
Das letzte, bis in die Gegenwart reichende Kapitel setzt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein und dokumentiert, wie sich katholische und evangelische Kirche in den letzten 70 Jahren schrittweise annäherten.
Die Ausstellung ist ein deutliches Zeichen dieses Versöhnungsprozesses. Sie ist »ein gemeinsames, ökumenisches Werk«, betonte auch Landesbischöfin Ilse Junkermann zur Eröffnung. Gemeinsam mit ihrem katholischen Kollegen hat sie die Schirmherrschaft der Ausstellung inne. Auch Kurator Birkenmeier bescheinigt den beiden Konfessionen, zumindest in Mitteldeutschland, ein inzwischen »partnerschaftliches, fast freundschaftliches Verhältnis«. »Natürlich gibt es noch offene Fragen, aber in theologischen Grundfragen ist man sich sehr nahe gekommen«, stellt er fest.
Die Ausstellung ist durchgängig zweisprachig (Deutsch/Englisch), barrierefrei und seit 13. April täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet.
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