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Die letzte Diakonisse von Genthin

»Die Rosen waren bei mir kürzer.« Schwester Dorothea betrachtet dankbar, aber auch kritisch den Garten am Mutterhaus. Früher hat sie ihn gepflegt, doch das lassen die Knie nicht mehr zu. | Foto: Renate Wähnelt
  • »Die Rosen waren bei mir kürzer.« Schwester Dorothea betrachtet dankbar, aber auch kritisch den Garten am Mutterhaus. Früher hat sie ihn gepflegt, doch das lassen die Knie nicht mehr zu.
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Porträt: Heutzutage gehe es nicht mehr ums Dienen, glaubt Schwester Dorothea. Deswegen seien Diakonissen eine aussterbende Spezies.


Von Renate Wähnelt

Die Meisen picken emsig Körner aus dem Futterspender auf der kleinen Terrasse. Griffbereit steht das Fernglas. Dorothea Graumann möchte auch die Vögel genau beobachten können, die sich nicht so nah heranwagen. Vögel füttern, Blumen gießen, Andachten halten – inzwischen leider meistens nur für sich allein. Die Tage der Diakonisse sind noch immer ausgefüllt, zumal die 84-Jährige inzwischen mehr Zeit für die alltäglichen Verrichtungen braucht als früher. Sie hat sich zur Ruhe gesetzt. Schwester Dorothea ist die letzte Diakonisse in Genthin, wo einst die Frauen in Tracht das Straßenbild prägten und ein Stück weit »Kirche« repräsentierten.
So gewohnt und unspektakulär ihr Alltag ist, so groß war ihre Überraschung, dass sie den Bürgerpreis 2017 der Stadt Genthin erhielt. Hätte sie das gewusst, wäre sie bestimmt gar nicht zum Neujahrsempfang der Stadt gegangen, sagt sie entschieden. Sowieso hatte sie nur dem Drängen von Freunden nachgegeben. Als sie dann plötzlich im Mittelpunkt stand, flossen ihr die Tränen. »Da klatschten 200 Menschen im Saal«, erinnert sie sich noch immer bewegt. »Ich habe gesagt, dass ich den Preis auch im Namen meiner Mitschwestern annehme.« Mit dieser Interpretation kann sich Schwester Dorothea arrangieren. »Ich stehe nicht gern im Vordergrund und habe immer andere vorgeschoben.«
Ob diese Rollenverteilung stets ganz freiwillig war? Als Jüngste unter den
Diakonissen in Genthin, wo sie im Johanniter-Krankenhaus 1956 ihre Ausbildung begann, als Jüngste im Krankenhaus Jüterbog, wo sie sieben Jahre lang aufgrund ihrer »Jugend« Mädchen für alles war, und dann weiter als Jüngste bei ihrer Rückkehr nach Genthin war sie wohl doch so manches Mal in den Hintergrund geschoben worden. Doch eine Diakonisse dient eben, und das tut Schwester Dorothea aus vollem Herzen.
Geprägt hat sie die Pflegemutter in dem Waisenhaus, in dem sie in Niedersachsen aufwuchs. Ihr Bild hängt an der Wand. »Unsere Pflegemutter war durch und durch Christin. Es gab keine Mahlzeit ohne Gebet. Ich wollte etwas von dem weitergeben, was ich erlebt habe. Anderen Menschen helfen um Christi willen.« Eine Anstellung im Krankenhaus, während sie die todkranke Pflegemutter betreute, hatte dann den konkreten Weg bereitet.
Dienen aus vollem Herzen, für Menschen da sein – auch wenn es schlaflose Nächte kostete in den 60er Jahren, weil sie als Küchenschwester nicht wusste, wie sie die notwendigen Zutaten besorgen kann. Oder weil die Diakonissen nachts die Windeln wuschen statt zu schlafen. Es bekümmert sie, dass Pflege heute nach Zeit bemessen wird, das es ums Geld geht und nicht genug um den Menschen. Schwester Dorothea hatte das Glück, dass sie das Dienen und eigene Interessen viele Jahre vereinbaren konnte. Gern wäre sie Gärtner oder Förster geworden – unter ihren Händen blühte der Patientengarten und überbrückte wohl auch so manchen Versorgungsengpass in der Klinikküche. Bis vor wenigen Jahren hat sie sich auch am Mutterhaus um den Garten gekümmert. Das lassen die Knie nun nicht mehr zu. »Die Rosen dort waren bei mir kürzer«, weist sie auf eine Rabatte. So ganz hat sie sich mit dem Nachlassen der eigenen Möglichkeiten noch nicht abgefunden.
Mit der Tatsache, dass Diakonissen aussterben, kann sie inzwischen umgehen. Könnte sie sich vorstellen, dass heutzutage Frauen Diakonissen werden? »Nein.« Schweigen. »Ich könnte nicht glauben, dass das ehrlich gemeint ist. Es geht nicht mehr ums Dienen.« So gern sie selbst früher manchmal einfach Feierabend hätte machen wollen und damit Aufgaben ablehnen – sie hat es nicht getan. »›Diakonissen gerne sich fügen‹, war so ein Spruch. Aber das war nicht immer ›gern‹«, gibt sie zu.
Im Laufe der Jahre arbeiteten immer mehr Nicht-Diakonissen im Johanniter-Krankenhaus Genthin. Trotzdem: »Wir waren ein gemütliches Haus und haben viel miteinander gefeiert.« Wirtschaftlich veränderte sich dadurch jedoch etwas: »Wir mussten die Entbindungsstation schließen, denn für eine Diakonisse als Hebamme, die Tag und Nacht da war, hätten drei andere eingestellt werden müssen«, erinnert sie sich an ein Detail. Im vorigen Jahr mussten die Johanniter das Genthiner Krankenhaus ganz schließen. Es ging wirtschaftlich nicht mehr.
Das macht Schwester Dorothea traurig. Noch mehr aber bekümmert sie, dass im Mutterhaus so wenige Christen leben. Die Mutterhaus-Glocke im Garten hat sie lange Zeit dreimal täglich zum Gebet geläutet. Jetzt nur noch gelegentlich, zum Gottesdienst. Allerdings passt Trübsal nicht zu ihr. Verschmitzt erzählt sie, dass der Hausmeister ihr ein ewiges Leben wünscht, da sie das Haus so gut kenne. Andererseits: »Ich bin nun nicht mehr Aufpasser für alle«, stellt sie resolut fest.

Autor:

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