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Jeden Tag wartet sie, denn er versprach: »Ick komm torügg«

Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.
Johannes 12, Vers 32

Von Stefan Körner

Salz und Algen. Wie das Meer halt so riecht. Der Geruch legt sich auf die Stadt wie eine Decke. Für die, die als Gäste hierher kommen, ist es der Duft der Weite. Der Duft des Unendlichen, das hinter der Linie aus Meer und Himmel immer weitergeht und nur erfühlt werden kann.
Für sie riechen Algen und Salz nach Abschied, nach ihrem Mann, dem alten Matrosen mit der Anker- und Meerjungfrauentätowierung auf dem Unterarm. »Tschüss, min Herzing«, hat er gesagt, als er ging.
Und, als er ihre Tränen sah, da schob er hinterher: »Ick komm torügg.« Gegen seine Gewohnheit gab er ihr einen Kuss. Aber er kommt doch zurück? Er hat es versprochen. Jeden Tag geht sie runter zum Pier. Sieht, wie die Schiffe anlanden, ihre Ladung löschen, wieder ablegen. Sieht, wie die Männer müde von Bord gehen und weiterlaufen. Zu ihren Frauen. Nach Hause. Seit Jahren geht sie runter zum Pier. Nur einmal war sie nicht im Hafen in all der Zeit. Da lag sie krank daheim. Aber schon nach einem Tag ging sie wieder ans Wasser, trotz ihres Fiebers.
Die anderen Frauen haben aufgegeben, auf sie einzureden: Der Sturm, das kalte Meer, die unendliche blauschwarze Tiefe. Kein Schiff mehr auf keinem Radar. Die Seenotrettung, die nach Tagen hingeschmissen hat. »Find dich damit ab«, haben sie gesagt. »Die See hat ihn geholt«, haben sie gesagt. Salz und Algen. Wie sie liebt und wie sie wartet. Von seinem Kuss und seinem Versprechen lebt. Die anderen Frauen staunen, wie sie dieses Versprechen, wie sie die Hoffnung trägt. Er ist doch weg, was soll das alles noch? Wie verrückt das doch ist, auf ein uraltes Versprechen hin zu glauben, zu hoffen. Auf etwas zu bauen, was niemand sieht und so gegen jeden Augenschein spricht.
Seit Jahren geht sie wieder nach Hause ohne ihn. Macht immer zur selben Zeit für sie beide eine frische Thermoskanne Kaffee. Schön stark, wie er ihn mag. Und schön heiß. Im Fenster schaltet sie, wenn es dunkelt, den kleinen Leuchtturm an. Er leuchtet die ganze Nacht. »Damit er heimfindet, wenn er kommt.«

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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