Zwischen Sockel und Teppich
Kritisches Theaterstück über Luther, aber der Reformator spielt gar nicht mit
Von Uwe Kraus
Wir wollen unter den Teppich schauen, was da druntergekehrt wurde, und Luther vom Sockel holen«, umreißt Regisseur Markus Bölling das Ansinnen von »Denk Mal! Ein Scherbengericht«. Das Stück des Dessauer Autors Andreas Hillger steht am 27. August ab 15 Uhr in Neinstedt auf dem Spielplan.
Zur Vorstellung wird auf der Wiese unter Apfelbäumen zwischen Pfarrhaus und Lindenhofskirche eine große Kaffeetafel für alle Gäste aufgebaut. Das Theaterstück gehört zur Neinstedter »Aktion Lutherjahr« von Lindenhofgemeinde und evangelischem Kirchspiel Neinstedt/Weddersleben. Das spannt sich von thematischen Gottesdiensten über das Pflanzen eines Apfelbaumes vor dem Elisabethstift bis hin zu einer Anti-Halloween-Aktion am Reformationstag, wie Pfarrerin Kristin Heyser erzählt.
Bereits seit Herbst 2016 hat sich eine kleine Gruppe interessierter Laien gemeinsam mit dem Schauspieler Markus Bölling mit der Person Martin Luthers auseinandergesetzt. »Das Spektrum reichte von Verehrung bis zu harscher Kritik an seinen Auffassungen zum Judentum und zu Behinderten«, erinnert sich die Pfarrerin. Als ein Plakat Aufruf zum Mitspielen in Neinstedt hing, meinten viele, es läge bereits ein Stück vor. Diese Erwartung musste Markus Bölling erstmal korrigieren. So wuchs die Handlung mit ihren Mitspielern. Eine wesentliche Frage sei, wie heute mit dem umgegangen werde, was Martin Luther hinterlassen habe. So verwehre sich der Text von Hiller der einseitigen Beleuchtung des Reformators. »Dazu fanden wir wache Mitstreiter, aber andere Interessenten ließen sich verschrecken«, so Bölling.
»Denk Mal! Ein Scherbengericht« lebe von den beteiligten Figuren. Allein deren Namen verweisen darauf, dass hier keine Jubelhymne auf Luther erklingt, sondern zum Mitdenken eingeladen werde. Die erste Überraschung: Bruder Martin spielt überhaupt nicht mit. Frau Putz schaut als Putzfrau unter den Teppich, was da alles gern an Lebensschnipseln von Luther druntergekehrt wird. Bildhauer Bildner denkt über den Sockel-Heiligen nach, während Journalistin Frager ihrer Profession nachgeht und dabei mit Frau Fromm aneinandergerät. Für Markus Bölling verlange das Stück mehr »als das Lernen von Texten und das Bewegen von A nach B«. Man setze sich mit den Fragen auseinander, wie Martin Luther präsentiert werde und was Menschen heute dazu zu sagen haben. Der Teppich und der Sockel seien die prägenden Pole in »Denk Mal! Ein Scherbengericht«.
Der Pädagogisch-Diakonische Vorstand der Evangelischen Stiftung Neinstedt, Diakon Hans Jaekel, hält es für wichtig, »auch die dunklen Seiten Luthers anzuschauen statt Loblieder zu singen«. Den Menschen im Dorf und in den Wohngruppen soll der Reformator auf unterhaltsame Art nahegebracht werden. »Menschen mit und ohne Behinderung sollen auf der Festwiese dem Spiel folgen, miteinander essend und spielend.« Heute hätte Luther wegen seiner Haltung zu behinderten Menschen zu Recht in Neinstedt Hausverbot. Gleichzeitig stehen die Kirchengemeinden und die Stiftung aber in einer evangelischen – das heißt: auch lutherischen – Tradition, was ein breites Spannungsfeld biete.
Pfarrerin Kristin Heyser freut sich jedenfalls auf das Theaterereignis zwischen den Kaffeetafeln. »Ganz wie zu Luthers Zeiten wird es auch Tischreden geben.«
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