Jugendkirche
Chillen, streiten, beten
Jugend und Kirche – das ist ein schwieriges Thema. Spätestens mit Ausbildung und Studium verlieren viele junge Menschen den Kontakt zu ihrer Gemeinde. Nördlich von Magdeburg zeigt ein Projekt, wie es auch anders gehen kann.
Von Oliver Gierens
In die kleine Zeltkirche am Stadtrand von Haldensleben in der Magdeburger Börde kehrt am Freitagabend allmählich Leben ein. Immer mehr Jugendliche zwischen 13 und Mitte 20 strömen in die Kirche, es wird erzählt und gelacht, aus einem Seitenfenster duftet es nach Essen. Wo viele Gemeinden immer kleiner und älter werden, zieht die Jugendkirche Haldensleben im Kirchenkreis Haldensleben-Wolmirstedt, ein Projekt der Jungen Gemeinde, viele Jugendliche geradezu an.
„Hier kann ich endlich mal abschalten, mit anderen quatschen, einfach ich selbst sein“, sagt der 15-jährige Max Frahm. Seit einiger Zeit kommt er regelmäßig hierher. Dabei ist er selbst nicht getauft, gehört keiner Kirche an. Das ist in der Jugendkirche keine Ausnahme. Die Mehrheit der Jugendlichen ist nicht kirchengebunden, berichtet Projektleiter und Gemeindepädagoge Robert Neumann. Viele kommen aus der Evangelischen Sekundarschule in Haldensleben, andere sind durch Freunde dazugestoßen. Während jährlich tausende Mitglieder aus den Kirchen austreten, wächst hier die Zahl der regelmäßigen Besucher: Rund 20 waren es 2019, aktuell sind es um die 40. Für Neumann und sein Team ist die Kirche zu klein geworden, sie denken mittlerweile über einen Abriss und Neubau nach.
Das Konzept ist bewusst offen gestaltet, zumal in der Region die Kirchenbindung eher gering ist. Wer dabei sein will, darf kommen – und soll sich möglichst frei entfalten können. Vor dem Essen wird gebetet, danach gibt es eine „Denkpause“ mit einem Impuls zu Themen, die junge Menschen bewegen – das können ebenso persönliche Dinge sein wie politisch-gesellschaftliche Themen. Ansonsten wird gechillt, gequatscht oder gespielt.
Heute geht es in der „Denkpause“ um ein kontroverses Thema: der Regenbogen als Zeichen für „queere“ Menschen, also Schwule, Lesben, Trans- oder Intersexuelle. Neumann hat eine entsprechende Fahne mitgebracht, wie sie derzeit auf den Christopher Street Days (CSD) gezeigt wird. Es ist eines der Themen, das die Gesellschaft polarisiert, bei vielen CSDs gibt es Gegendemonstrationen. In der Jugendkirche ist das anders: Hier wird auch mal gestritten, aber dennoch respektvoll und achtsam diskutiert. Das Klima ist offen und tolerant.
„Wir sprechen hier auch über Themen, die uns bedrücken, und über die wir mit unseren Eltern und Freunden nicht sprechen wollen“
Die 19-jährige Lea schätzt besonders das „unglaubliche Gemeinschaftsgefühl“ und die vielen Menschen, die dazu beitragen. „Man kommt mit schlechter und geht mit guter Laune“, sagt die junge Frau. Ob Krieg, Corona oder Klima sowie die jüngsten Wahlergebnisse: Oft sei man unterschiedlicher Ansicht, trotzdem könne man hier ordentlich miteinander reden.
Dass Debatten hier weniger polarisiert ablaufen als in der Gesellschaft, liegt für Toni Pitschmann auch an der „linken Bubble“, zu der viele Besucher der Jugendkirche gehörten. Der 16-Jährige ist Mitglied im Landesschülerrat Sachsen-Anhalt, erlebt viele Debatten hautnah mit. Doch die Jugendkirche ist für ihn weniger ein politisches Forum. „Hier kann ich Freunde treffen, mit ihnen dieselben Interessen teilen“, berichtet der Jugendliche: „Wir sprechen hier auch über Themen, die uns bedrücken, und über die wir mit unseren Eltern und Freunden nicht sprechen wollen.“
Dafür ist die Kirche jugendgerecht eingerichtet: Kirchenbänke gibt es keine, dafür Sofas zum Chillen, einen Billardtisch oder eine kleine Bar. Rings um die Kirche liegt eine große Wiese mit einem Volleyballfeld. Alle zwei Monate gibt es einen Jugendgottesdienst, dazu Filmnächte oder Musikworkshops.
Und diese Mischung hat schon manche Jugendliche zum Glauben gebracht. Mehrere habe er bereits getauft, erzählt Robert Neumann. Einer von ihnen ist Florian Jerratsch. Der 21-Jährige hat sich vergangenes Jahr für eine Ganzkörpertaufe im Fluss Ohre entschieden. In einer schwierigen Situation habe er angefangen zu beten, und nach der Taufe sei das intensiver geworden. „Die Leute sind hier richtig nett, und ich bin abgelenkt vom Alltagsleben“, erzählt er: „Die Jugendkirche hat auf jeden Fall zu meiner Entscheidung beigetragen.“
(epd)
Autor:Oliver Gierens |
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