Erst Motoröl, dann Religion
Schule ist mehr als das Lernen von Formeln und Vokabeln, zeigt ein Beispiel aus Haldensleben
Von Thorsten Keßler
Benzingeruch liegt in der Luft. Aufgebockt auf einer Werkbank steht ein Trike. »Das Dreirad ist Eigenbau«, sagt Julian Müller stolz. »Der Grundrahmen stammt vom Fahrrad. Die Achse mit den beiden Hinterrädern von einem Handwagen, und von einem Mofa ist der Sachs-Motor.« Jeden Dienstag um 7.30 Uhr treffen sich vier Zehntklässler der evangelischen Sekundarschule für zwei Stunden zur Moped-Arbeitsgemeinschaft unter der Leitung von Hausmeister Jörg Espe.
Während Julian erzählt, feilt Jörg Espe einen Schlitz in ein Winkeleisen. »Selbst erdacht. Als Gegenhalter für den Bowdenzug«, erklärt der Hausmeister und schart Julian Müller, Alexander Schröder, Dominik Engelbrecht und Niklas Gartner um das Trike. Der gelernte Tischler erklärt, wie Bremshebel, Bowdenzug und der gerade angefertigte Gegenhalter zusammen wirken, damit die Bremse funktioniert. Seit 2012 gibt es die Moped-AG an der evangelischen Sekundarschule. Begonnen hatte alles mit einer Fahrradwerkstatt, erzählt Jörg Espe, »weil viele Schüler mit unsicheren Rädern unterwegs waren«. Die Moped-AG habe sich daraus als weiterführendes Angebot entwickelt. Anfangs wurden die Maschinen der Schüler repariert, später eigene Projekte entwickelt.
Die AG am Dienstagmorgen ist freiwillig und nach zwei Stunden in der Werkstatt erwartet die Zehntklässler noch ein sechsstündiger Schultag. »Nach der großen Pause ist Religion«, sagt Niklas Gartner. Er interessiere sich für Motoren und »finde es top, dass ich so etwas hier lernen kann«.
»Klar, wir könnten ausschlafen«, ergänzt Dominik Engelbrecht. Nach Praktikum und Ferienjob beginnt der 16-Jährige in diesem Jahr eine Ausbildung zum KfZ-Mechatroniker. Die AG habe ihm im Bewerbungsverfahren bestimmt nicht geschadet. Schweißen, Löten, Gewinde schneiden: Alles Dinge, die die Jugendlichen in der Moped-AG kennenlernen.
Für Schulleiterin Pia Kampelmann sind diese Arbeitsgemeinschaften neben dem normalen Unterrichtsplan wertvoll. »Schule besteht nicht nur aus dem Lernen von Vokabeln. In der Moped-AG lernen die Schüler, dass sich Dinge reparieren lassen und man nicht alles gleich wegwerfen muss.« Es geht also um Nachhaltigkeit und – Motoröl und Zweitakt-Gemisch zum Trotz – vielleicht ja auch ein Stückchen Bewahrung der Schöpfung.
Draußen vor der Schule glänzt ein gutes Dutzend Mopeds in der Sonne. Die himmelblaue Simson gehört Julian Müller. Stolz erzählt er: »Baujahr 1976. Ein Schätzchen, das ich in den Sommerferien mit meinem Großvater repariert, lackiert und zusammen geschraubt habe.«
Noch so ein Schätzchen ist die Simson Star von 1973 in der Werkstatt von Jörg Espe. »Das ist die Original Lackierung: Weinrot und Tundragrün«, erzählt Espe, während er die Maschine startet. Es macht Spaß, manche alte Maschine wieder flott zu bekommen, das andere sei die Arbeit mit den jungen Leuten. Und wenn dann einer begabt ist, Freude am Beruf findet, eine Ausbildung macht und sich erinnert, »das habe ich doch bei Herrn Espe gelernt«, das sei das Größte.
Autor:Online-Redaktion |
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