130 Jahre im Dienst der tätigen Nächstenliebe
Stadtmission Halle schaut zurück auf eine Geschichte voller Umbrüche und WandelVon Claudia Crodel
Die evangelische Stadtmission Halle wird 130 Jahre alt. Das soll im Mai mit einem großen Fest mitten in der Stadt gefeiert werden. Es ist aber auch Anlass, auf die Geschichte und die heutigen Aufgaben der diakonischen Einrichtung zu schauen, deren Arbeit stets durch das christliche Menschenbild geprägt ist. Heute steht die Stadtmission für ihre Behindertenwerkstätten und verschiedene Wohnformen für Menschen mit Behinderungen sowie vielfältige soziale Arbeit in Beratungsstellen, der Wärmestube, der halleschen Tafel, der Anlaufstelle für Suchtkranke und pastorale Tätigkeit.
Gegründet wurde sie 1888 als »Stadtverein für Innere Mission«. Josef Sima, der erste Pastor des Vereins, gründete das Blaue Kreuz Halle, um Suchtkranken zu helfen. Durch die zunehmende Industrialisierung und sich daraus ergebende soziale Probleme war der Bedarf an diakonischer Hilfe groß. 1898 erwarb der Verein das Grundstück im Weidenplan in der Innenstadt von Halle, wo bis heute die Geschäftsstelle ansässig ist. »Die Leute wurden aufgefangen, konnten tagsüber arbeiten und abends in Bibelstunden seelischen Beistand finden«, erzählt Diakonin Michaela Hermann. In ihrer Geschichte erlebte die Stadtmission mehrfach Umbrüche, so in den Zeiten der Diktaturen. Mit Machtantritt der Nationalsozialisten erhielt sie einen Pastor, der besonders in seiner Anfangszeit mit den Machthabern sympathisierte.
Doch die Arbeit der Stadtmission war nicht nur von dessen Ansichten geprägt. Eine Vielzahl von Mitarbeitern, Freiwilligen und Unterstützern engagierte sich in den 1930er Jahren im diakonischen und missionarischen Dienst. Unter anderem wurde das Frauenzufluchtsheim erweitert und am 1927 eingeweihten Standort Johannashall im Saalekreis das Waisenhaus ausgebaut. 1938 lebten dort 80 Kinder.
Nach dem Krieg war die Stadtmission Anlaufstelle für Flüchtlinge aus dem Osten und Heimgekehrte aus Kriegsgefangenenlagern. Man kümmerte sich um jene, die ihre Heimat verloren hatten und oftmals auch den Glauben an Gott. Die sowjetische Besatzungsmacht setzte bei der Bewältigung der vielen sozialen Probleme nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reichs« auch auf die Arbeit der Kirchen und der diakonischen Einrichtungen. Deren Fürsorge war auch durch die rasant gestiegene Zahl der Waisenkinder gefragt. Ob Waise oder Flüchtling, jeder von ihnen hatte eine Leidensgeschichte. Deshalb gab es nicht nur Beratungshilfe, sondern für die seelischen Belange Bibelstunden und Gesprächskreise.
Auch nach Gründung der DDR wurde das diakonische Wirken wie jenes der evangelischen Stadtmission genutzt. Soziale Schieflagen wurden im neuen Staat nicht zugegeben, unliebsame Aufgaben – vor allem in der Wohlfahrtspflege – an kirchliche Einrichtungen abgegeben. Zugleich wurden die gesetzlichen Vorgaben verschärft.
In der Stadtmission kümmerte man sich wie zuvor um Suchtkranke. Von staatlicher Seite kam Mitte der 1950er Jahre der Auftrag, die Arbeit mit geistig behinderten Kindern aufzunehmen. Bis in die 1980er Jahre hinein wurde dieses Tätigkeitsfeld immer weiter ausgebaut. Die finanzielle staatliche Unterstützung allerdings war äußerst gering. Erst nach dem Mauerbau verbesserte sich die Zusammenarbeit, auch wenn die Staatsmacht die Diakonie noch immer nicht wirklich anerkannte und nun stärker kontrollierte.
Nach der Wende kam ein weiterer großer Umbruch. Neue Strukturen und Aufgabengebiete entstanden, andere wurden abgegeben, die Bautätigkeit vorangetrieben. 2015 gliederte die Satdtmission ihre Angebote für Menschen mit Behinderungen in eine gemeinnützige GmbH aus.
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