Advent heißt Ankunft - Kirche am Gleis: Die Bahnofsmission in Halle wird 25 Jahre
Die Bahnhofsmission in Halle feierte in diesen Tagen ihren 25. Gründungstag. Seit 1991 haben die Haupt- und Ehrenamtlichen über 900 000 Mal Menschen geholfen.
Von Katja Schmidtke
Der Wind pfeift eisig durch die Bahnsteighalle. Bellal zieht die schwarze Mütze weiter über die Ohren, strafft die Handschuhe. Es ist ein kalter Dienst an jenem trüben, diesigen Sonntagvormittag im Dezember auf dem Hauptbahnhof von Halle.
»Wir schauen, wer Hilfe braucht«
Bellal ist seit drei Monaten immer wieder hier – er ist ehrenamtlicher Helfer bei der Bahnhofsmission. Der junge Afghane ist an diesem Tag mit Steffen Hoehl, dem stellvertretenden Leiter der Mission, auf den Bahnsteigen, der Kuppelhalle und der Unterführung unterwegs. »Wir schauen, wer Hilfe braucht«, sagt Steffen Hoehl. Als die S-Bahn aus Leipzig mit Verspätung einfährt, ist es zum Beispiel eine Mutter mit zwei kleinen Kindern. Schweres Gepäck aus dem Zug wuchten, bei den Fernzügen älterer Modelle den Reisenden helfen, die Stufen unfallfrei herunterzukommen, alleinreisende Kinder und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen begleiten, Wege weisen, Orientierung geben, ein Lächeln schenken, aufmerksam sein. Das ist ein Aufgabenfeld der Bahnhofsmission, die vor 25 Jahren gegründet worden ist.
Mehr als 900 000 Mal im Einsatz für Menschen
Die Einrichtung zählt damit zu den ältesten ihrer Art in Sachsen-Anhalt. Sie wurde am 20. Dezember 1991 von der katholischen und evangelischen Kirche ins Leben gerufen. Seitdem wurden mehr als 900 000 Kontakte gezählt. Inzwischen ist der evangelische Kirchenkreis Halle-Saalkreis der alleinige Träger. Er finanziert zwei Stellen: Heike Müller als Leiterin und Steffen Hoehl als ihr Stellvertreter sind zwei Hauptamtliche unter rund 20 Ehrenamtlichen. Unterstützung kommt auch von der Stadt Halle, sie finanziert die Frühstücksversorgung – das zweite Aufgabenfeld der Bahnhofsmission.
Denn die Räumlichkeiten im hinteren Seitenflügel des Bahnhofs sind auch Anlaufpunkt für sozial benachteiligte und einsame Menschen. Draußen auf der Fensterbank stehen Blumenkästen mit Heidekraut, im Fenster hängt weihnachtlicher Schmuck, drinnen sind die Tische sauber und liebevoll eingedeckt, mit Blumen und Deckchen, die Kaffeemaschine blubbert, es ist gemütlich warm. »Wir sind bemüht, hier mit jedem verantwortungsbewusst und respektvoll umzugehen. Das fängt bei einem ordentlich gedeckten Tisch an«, sagt Heike Müller. Sie leitet die Bahnhofsmission seit 17 Jahren.
Was hat sich in dieser Zeit verändert? Es kommen viel mehr psychisch kranke Menschen, bilanziert die ausgebildete Sozialarbeiterin. Lange Arbeitslosigkeit, aber auch der Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen mache die Menschen krank. Es sind hauptsächlich Männer. Die meisten müssen mit einer schmalen Rente auskommen, aber es gibt auch andere Fälle. Bedürftigkeit ist heute ein vielschichtiges Problem, es betrifft längst nicht nur alte oder obdachlose Menschen. »Im Moment kommen auch viele junge Erwachsene, die haben oft schon abgeschlossen, können nicht, wollen nicht. Das macht nachdenklich«, sagt Heike Müller. Ihr Team will den Besuchern mehr als eine Stulle und einen heißen Kaffee mitgeben. Es soll hier auch um Mitmenschlichkeit gehen, um Höflichkeit, Respekt, um Regeln und Rituale. Hilfe zur Selbsthilfe. »Aber ohne Zeigefinger.«
Jeder Tag beginnt mit einer Geschichte aus dem immerwährenden Kalender »Blätter, die uns durch den Tag begleiten«. Das kann ein Gleichnis sein, ein Vers oder eine Geschichte aus der Bibel. Einmal im Monat bietet Pfarrer Karsten Müller aus der nahen Johannesgemeinde ein Bibelgespräch für die Ehrenamtlichen an. Nicht alle Helfer indes sind konfessionell gebunden oder gläubig. Dass auch zwei, die dem Glauben fernstehen, dennoch regelmäßig zum Bibelkreis kommen, empfindet Heike Müller als wohltuend und anregend. Einmal im Jahr wird, wie am 20. Dezember zur Jubiläumsfeier, in der Bahnhofshalle ein Gottesdienst gefeiert, meist im Frühling. Zudem hält Pfarrer Müller am Heiligen Abend, 13.30 Uhr, eine Andacht.
Zwei Flüchtlinge unter den ehrenamtlichen Helfern
Die Bahnhofsmission lebt von und mit ihren Ehrenamtlichen. Unter ihnen sind viele Rentner, neuestens auch zwei Flüchtlinge: neben dem jungen Mann aus Afghanistan eine aus dem Irak geflohene Christin. Beiden wolle man ein Stück Heimat geben. Heike Müller und ihr Kollege Steffen Hoehl sind zudem immer auf der Suche nach Menschen, die sich engagieren wollen, die ein bisschen Zeit schenken und die Arbeit unterstützen möchten und können. Interessenten durchlaufen fünf Probedienste, sie sollten körperlich und seelisch fit sein, eine gute Kondition bei Hitze und Kälte, treppauf, treppab mitbringen und eine schnelle Auffassungsgabe haben.
Die Bahnhofsmission Halle, die schon einmal von 1946 bis 1956 existierte, ist eine von 103 Einrichtungen deutschlandweit. In Sachsen-Anhalt existiert die »Kirche am Gleis« neben Halle auch in Magdeburg, Halberstadt, Stendal, Bitterfeld und Dessau. In Thüringen gibt es keine Bahnhofsmission. Erst vor wenigen Wochen ist ein Verein zur Förderung der Bahnhofsmissionen in Deutschland gegründet worden.
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Autor:Adrienne Uebbing |
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