Lebenswege: Norbert Kreis über naive Träume und bodenständige Arbeit
"Das mache ich nicht"
Es sind manchmal wenige Augenblicke und einige Meter – und ein Lebensweg schlängelt sich in eine andere Richtung. Mitte der 1980er-Jahre kommt Norbert Kreis die Klement-Gottwald-Straße in Halle entlang, der heutige Boulevard. Der junge Mann hat gerade ein Bewerbungsgespräch hinter sich. An der staatlichen Studienlenkung vorbei hatte er sich für ein Volontariat bei der CDU-Zeitung "Der Neue Weg" in Halle beworben – nur um festzustellen, dass im Büro des Chefredakteurs ein Honecker-Porträt hängt und man ein Studium an der Leipziger Kaderschmiede sowie drei Jahre Armee ebenso von ihm erwartet wie bei einer Bewerbung für die SED-Bezirkszeitungen. Der junge Mann verlässt das Büro mit der Gewissheit: "Das mache ich nicht." Er spaziert die Straßen entlang, traumwandlerisch wie er sagt, und steht auf einmal vor der Pflegeschule des katholischen Elisabeth-Krankenhauses.
Heute, mehr als 30 Jahre später, sitzt Norbert Kreis in einem Büro der Stiftung Marthahaus in Halle. Die christliche Einrichtung vereint Hotel, betreutes Wohnen für Senioren, Begegnungsstätte und Pflegeheim unter einem Dach. Norbert Kreis ist ihr Geschäftsführer. Er hat das Schreiben nicht zu seinem Beruf gemacht, stattdessen Krankenpflege gelernt und nach der Wende Sozialpädagogik studiert. Norbert Kreis wird 1966 geboren, er wächst in Weißenfels auf, wird katholisch erzogen. Die katholische Jugend in seiner Heimatstadt prägt ihn, die große Gruppe hat einen festen Zusammenhalt, es gibt sogar eine eigene Fußballmannschaft. "Das war wie ein Zuhause", erinnert er sich. Schon in seiner Kindheit schreibt er gern, erstellt als "Spielerei" mit seinem Bruder kleine Zeitschriften, ist Gruppenbuchführer seiner Klasse und später Wandzeitungsredakteur. Weil er zu viel über den Umweltschutz und zu wenig über den Klassenkampf schreibt, fliegt er aus der Redaktion, erzählt er schmunzelnd. Dann schreibt er Berichte über eine Reise nach Russland als Mitglied im Club der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Sein Wunsch, Journalist zu werden, sei "pubertär und naiv" gewesen; das wird ihm durch das Vorstellungsgespräch deutlich.
Schließlich beginnt er am 1. September 1985 eine Ausbildung am Elisabeth-Krankenhaus (EK) mit einem Caritasjahr: waschen, putzen, kochen, nähen. Harte Arbeit und so ganz anders als die träumerische Vorstellung vom Journalismus. Aber, und das ist entscheidend, er fühlt sich frei. Beim System eckt er an: Er werde nicht schießen, sagt er bei seiner Musterung. Diese Überzeugung kommt aus seinem Glauben und aus seiner Arbeit. Er wolle Menschen heilen und ihnen nicht Wunden zufügen. Der Offizier hält ihm eine Standpauke, er lässt sie über sich ergehen.
Im Spätsommer 1989 beginnt die Friedliche Revolution, im EK kursiert der Aufruf zur Gründung des Neuen Forums, Norbert Kreis engagiert sich in der Grünen Liga und prangert mit Mitstreitern die Umweltverschmutzung durch die Buna-Werke an. Wenn er zurückdenkt, hat er Kerzen vor Augen, in den Kirchen, aber auch bei den Treffen in Privatwohnungen, wo bei Kerzenlicht klug und friedlich diskutiert wird.
Dem Journalismus trauert er nicht nach, aber die Liebe zum Schreiben ist über all die Jahre hinweg geblieben. Während des Studiums gab er eine Fachbereichszeitschrift mit heraus; im Marthahaus erstellt er die Hauszeitung. Und vielleicht ist es eine journalistische Tugend – oder eine Erfahrung aus dem Wendeherbst –, dass er seine Leitung transparent gestaltet. "Alles, was wir hier tun, können wir im Lichte der Öffentlichkeit rechtfertigen", sagt er.
Katja Schmidtke
Autor:Online-Redaktion |
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