Essen teilen, sich mitteilen
Kunstprojekt der Burg Giebichenstein auf dem Marktplatz
Von Katja Schmidtke
Es ist aufgetischt! Suppe ist da, ein kräftiges Fladenbrot, ein Salat mit Pesto, frischer Rhabarberkuchen … Darüber entspinnen sich die ersten Gespräche. Was ist das für ein tolles Rezept? Ist das Pesto selbstgemacht? Bis der Gesprächsfluss stockt. Moment. Was ist mit dem Besteck los? Sprichwörtlich nehmen die Menschen, die am Sonnabend nahe des Händel-Denkmals auf dem halleschen Marktplatz an Bierzeltgarnituren Platz genommen haben, nach dieser ersten Störung den Faden wieder auf. Kuchengabeln und Suppenlöffel sind mit roten, elastischen Gummistricken verbunden und diese müssen entwirrt werden, will man gemeinsam speisen.
Die »rollende Picknickdecke« an diesem heißen Nachmittag ist Teil von drei Kunst-Aktionsräumen, mit denen sich die Burg Giebichenstein Kunsthochschule am Kirchentag auf dem Weg beteiligt. Die Idee: Eine Gruppe trifft sich zum Picknick und lädt vorbeigehende Menschen zum Essen ein. Je mehr hinzukommen, desto weiter rollt sich die Decke aus. Die Frage: Finden immer mehr Menschen zusammen, teilen Essen und teilen sich einander mit?
Nach der ersten halben Stunde können Professor Stella Geppert und die Gruppe von fünf Studenten darauf mit »Ja« antworten. Die 17 Meter lange, rot-weiß-karierte Decke wurde bereits über drei Tische ausgerollt. Jung und Alt, Gläubige und Konfessionslose, Kunstbegeisterte und Neugierige sitzen zusammen, kommen ins Gespräch. Nicht jeder hat etwas vorbereitet – so war das ja auch nicht gedacht – und dennoch ist genug für alle da. Wer sich Rhabarberkuchen nimmt, reicht auch seinem Sitznachbarn ein Stück. »Wir haben es vorab im Seminar ausprobiert und wir waren so satt, wir konnten nicht mehr essen. Wer teilt, bekommt immer mehr, als er gibt«, sagt Geppert.
Die Professorin für Kunsterziehung, Kunstpädagogik und Bildende Kunst erzählt, dass sie selbst christlich sozialisiert ist. Bewusst wolle man an diesem Nachmittag aber nicht Brot und Wasser miteinander teilen. Religion, sagt sie, könne auch ausschließen, selbst wenn es ums Teilen gehe. Immerhin hat an diesem Tag der muslimische Fastenmonat Ramadan begonnen.
Die »rollende Picknickdecke« will vielmehr ein Fragezeichen setzen, wie Menschen sich im öffentlichen Raum, auf der Straße, auf dem Marktplatz begegnen. Können wir den anderen wirklich sehen? Vieles ist gesteuert durch feste Verhaltensmuster. »Wir sind nicht auf Kommunikation ausgerichtet. Wer besonders offen ist, überschreitet Grenzen, gilt schnell als nicht normal«, sagt Stella Geppert.
Die »rollende Picknickdecke« hat diese Muster zumindest für einen Nachmittag durchbrochen.
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