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Kommentar
Verzicht auf Vorwürfe angemahnt

Kirchenrat i. R.: Bußruf verschweigt, dass auch Gemeinden gelitten haben
Von 
Gottfried Müller

Ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung des Bußwortes der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) zu Schuld und Versagen der Kirche in der DDR hatte das Landeskirchenamt zu einem »Ersten Forumstag zum Bußwort« nach Halle eingeladen. Die Absicht war offenbar, auszuloten, welche Perspektiven sich für eine weitere Aufarbeitung und Versöhnung ergeben könnten. Die kirchliche Pressestelle bestätigte, dass auch das Thema Ausreisepfarrer vorgesehen war. Das Forum war nur für geladene Synodale, Mitglieder des Landeskirchenrats und Betroffene und nicht öffentlich.
Sich um die Schicksale ehemaliger Pfarrer und kirchlicher Mitarbeiter zu kümmern, die vor Jahrzehnten aus der DDR in die Bundesrepublik ausgereist waren, hat in der mitteldeutschen Kirche so etwas wie Tradition. Bereits vor drei Jahren gab es in Halle, zum Teil mit denselben Referenten, eine Tagung, in der Probleme von Ausreisepfarrern besprochen wurden. Stetig wendet sich auch Landesbischöfin Ilse Junkermann jenen Menschen zu, die von den Ausreiseschikanen der DDR betroffen waren.
Den im November zum Buß- und Bettag auf der Herbstsynode verlesene Bußruf, der auch Ausreisekonflikte thematisiert, nahm nur ein Teil der Hörer mit Zustimmung wahr. Kritiker beklagten eine unsachliche Einseitigkeit. Der Bußruf verschweige, was zu DDR-Zeiten viele Menschen schmerzhaft erfahren haben: Unter der Ausreise von Pfarrern haben nicht nur diese selbst, sondern auch die Gemeinden gelitten. Auch die Kirchenleitungen sind nicht einfach kaltherzige »Täter« gewesen, wenn sie zwischenkirchlichen Ost-West-Absprachen folgten und dem Ausreisenden vorübergehend die Ordinations- und Westanstellungsrechte entzogen. Schließlich konnte eine Kirche, die immer wieder mahnte, im Lande zu bleiben, um der Glaubwürdigkeit ihres Bittens willen es nicht reaktionslos hinnehmen, wenn einer ihrer Amtsträger in den Westen überwechselte – aus welchen Gründen auch immer.
Man muss heute das Verhalten der Kirchen nicht billigen, aber es sollte möglich sein, sich um ein unpolemisches Verstehen ihrer Motive zu bemühen.
Ein Positionspapier, das die Teilnehmer des Hallenser Forumstags vorab erreichte, enthält auch ein Wort zur Versöhnung, die ehemalige »Ausreiser« mit ihren früheren Gemeinden und Kirchen wieder zusammenführen soll. Prinzipiell gilt ein Grundsatz der Mediation: Versöhnung kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten darauf verzichten, ihr jeweiliges Gegenüber mit Schuldvorwürfen zu konfrontieren. Zu solcher Erkenntnis ist allerdings der Bußruf selbst noch nicht vorgedrungen. 

Der Autor war von 1981 bis 1990 Chefredakteur von Glaube + Heimat.

Autor:

Online-Redaktion

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