Martinsschmaus in Jena
Wärmer als jede Suppe
Pastinakensuppe, Gänsebrust und Marillenknödel: Zum siebten Mal ist in der Jenaer Stadtkirche der Martinsschmaus ausgerichtet worden. Das Gänseessen richtet sich an bedürftige Senioren und erwerbsunfähige Menschen. Geben und Nehmen sind in diesem besonderen "Restaurant der Herzen" keine Einbahnstraße.
Von Beatrix Heinrichs
"Eigentlich wollten meine Frau und ich heute in den Urlaub Richtung Ungarn aufbrechen. Doch dann mussten wir umdisponieren", sagt Jürgen Kempte. Der Ruheständler gehört zu den Gründungsstiftern der Jenaer Martinsschmaus-Stiftung. Seit 2017 wird das Gänseessen für Bedürftige in der Stadtkirche St. Michael ausgerichtet. Heute sind nahezu alle Plätze im "Restaurant der Herzen" besetzt. Die knapp 300 Gäste erwartet ein Drei-Gang-Menü: Pastinaken-Cremesuppe, Gänsebrust mit Rotkohl und Klößen und zum Dessert Marillenknödel mit Vanillesoße. Auch für den Hörgenuss ist gesorgt mit Thomas Grubert, Mitarbeiter der katholischen Kirche, an der Orgel und dem Blechbläserquintett "Blechartig".
Doch zurück zu Jürgen Kempte und dem Grund für seine geänderten Urlaubspläne. Der steht direkt neben ihm: seine 14-jährige Enkelin Lara. Schon am Freitag hatte sie ihre Großeltern bei den Umräumarbeiten für das große Martinsgansessen in der Stadtkirche unterstützt. Die Kirchenbänke mussten an die Seiten des Kirchenschiffs getragen und lange Tafeln für die Gäste gestellt werden. "Danach hat Lara spontan entschlossen, heute auch beim Servieren zu helfen. Also sind wir noch einen Tag länger geblieben und fahren erst morgen los", berichtet der Großvater ohne Bedauern, dafür aber mit einer ordentlichen Portion Stolz in der Stimme. "Es macht mir Freude, wenn andere glücklich sind und ich etwas zurückgeben kann an Menschen, denen es vielleicht nicht so gut geht und die nicht so viel haben wie wir", so die Schülerin. Und so geht Lara nun an diesem Mittag mit Apfelsaft- und Wasserflasche durch die Reihen, gießt nach und kommt an dem ein oder anderen Tisch auch mal ins Plaudern. "Eine Dame hat mich vorhin angesprochen, mir auch von ihrer Familie und ein bisschen über ihr Leben erzählt."
Genau das sei auch das Anliegen, berichtet Berno Kremlitschka, Jenaer Unternehmer und Vorstand der Stiftung. Es ginge nicht um das schöne Essen allein. Auch ein Gespräch, der Austausch mit anderen Menschen könnten erwärmen wie eine gute Suppe. "Wir ermuntern unsere Helfer immer: Setzt euch zu den Leuten, hört ihnen für einen Moment zu. Das, was wir hier tatsächlich investieren, ist Zeit. Und das ist eine sehr direkte, unmittelbare Hilfe."
Doch nicht jeden Gast kenne man persönlich, sagt Kremlitschka. Die Einladungen für das Gänseessen nämlich versendet das Sozialamt der Stadt Jena. Etwa 800 waren es in diesem Jahr. Unter den Empfängern sind Menschen, die aufgrund körperlicher oder geistiger Behinderung gesellschaftlich benachteiligt sind oder erwerbsunfähige Senioren. "Es gibt aber schon bekannte Gesichter, Menschen, die jedes Jahr gerne wiederkommen. Auch Freundschaften haben sich entwickelt", so der Vorstand.
Initiiert hatte den ersten Martinsschmaus vor sechs Jahren der inzwischen verstorbene Jenaer Tausendsassa Ralf Kleist. Gemeinsam mit Berno Kremlitschka und Volker Lissner wurde die Idee weiterentwickelt. Bis im November vergangenen Jahres schließlich die Stiftung gegründet werden konnte. Finanziert wird die Benefizaktion durch die Stifter und über Spenden. Selbst während der Pandemie hatten die Organisatoren - 2020 mit eigenem Hygienekonzept und 2021 als Freiluftveranstaltung im Sommer - alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit das Essen stattfinden konnte. Aus der Erfahrung dieser Jahre hatte man den Termin 2022 und auch in diesem Jahr wieder in den Oktober vorverlegt.
Ohne die Ehrenamtlichen aber wäre die Ausrichtung eines solchen Essens nicht zu realisieren, betont Kremlitschka. Neben Lara sind insgesamt etwa 60 weitere Helfer in die Organisation der kulinarischen Benefizveranstaltung eingebunden. "Vom Professor bis zur Hausfrau sind alle auf den Beinen." Und nicht nur das. Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat es sich als Schirmherr der Stiftung nicht nehmen lassen, die Aktion tatkräftig zu unterstützen. Gemeinsam mit dem Oberbürgermeister der Stadt Jena, Thomas Nietzsche, verteilte er die Speisen.
Max Abbe und Anton Kämnitz, die mit ihren Müttern gekommen sind und direkt vorn, unweit der Treppenstufen zum Altar, Platz genommen haben, sind mit unter den ersten Gästen, die bedient werden. "Alles hier ist so liebevoll hergerichtet", sagt Antons Mutter. Ihr Sohn sitzt neben ihr im Rollstuhl. "Es ist einfach schön, dass wir uns hier an einen gedeckten Tisch setzen dürfen, dass für uns gekocht wird." Max Mutter stimmt ihr kopfnickend zu und fügt an: "Und dass wir Frauen uns auch einmal in Ruhe unterhalten können."
Autor:Beatrix Heinrichs |
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