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Sommerinterview
Mit der Moto Guzzi ins Baltikum

Startklar: Matthias Zierold und seine Moto Guzzi | Foto: Beatrix Heinrichs
  • Startklar: Matthias Zierold und seine Moto Guzzi
  • Foto: Beatrix Heinrichs
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Von Jena nach Riga: Biker-Pfarrer Matthias Zierold tritt im August eine Auslandspfarrstelle in Lettland an. Für sechs Jahre wird er die Gemeinden der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Riga betreuen. Die Koffer sind noch nicht gepackt, das Motorrad aber ist schon vollgetankt, sagt er im Gespräch mit Beatrix Heinrichs.

Bevor Sie nach Jena kamen waren Sie Pfarrer in St. Petersburg in Rußland und in Baku in Aserbaidschan. Sie hält es nie lange an einem Ort?
Zierold:
Ja und nein. Es ist ja in vielen Berufen so, dass Wechsel auf der Tagesordnung stehen. Auch das Berufsbild des Pfarrers hat sich gravierend geändert. Die Vorstellung von einem Pfarrer, der lange an einem Ort ist, immer die gleichen Aufgaben hat, wandelt sich. Man arbeitet und lebt heute in Projekten und zeitlich befristeten Tätigkeiten. Entsprechend ist auch die Verweildauer eine andere.

Auch andere Länder haben schöne Pfarrstellen. Was zieht Sie mit Vorliebe gen Osten?
Zierold:
Mich würde es auch in andere Regionen ziehen, aber Aufgabe und Qualifikation müssen passen. Mit meiner Erfahrung, meinen Beziehungen bin ich für Lettland besser geeignet als für Lissabon. Außerdem lebe ich gern in einer Welt, in der nicht alles so perfekt ist, wo Spontanität noch eine Möglichkeit ist. Es macht einfach mehr Freude, wenn es Raum für Improvisation und Kreativität gibt.

Apropos Kreativität: Als begeisterter Motorradfahrer haben Sie 1998 das erste christliche Biker-Treffen in Friesau organisiert. Die Biker-Gottesdienste sind inzwischen eine Institution. Werden Sie denn jetzt das Bike gegen ein Boot an der Ostsee eintauschen müssen?
Zierold:
Nein, erstmal nicht (lacht).

Wieviele Zweiräder haben Sie denn?
Zierold:
Da müsste ich mal zählen. Zehn vielleicht. Aber ich fahre ja nicht nur, sondern sammle, baue auf. Das älteste Motorrad, das ich habe, ist eine Excelsior von 1930 – das neuste eine Moto Guzzi von 2005.

Was fasziniert Sie an diesem Hobby?
Zierold:
Ich bin ein großer Fan von klassischen Motoren, vor allem von Maschinen mit V- oder Ein-Zylinder-Motoren. Dieser Klang! Mich begeistern längs liegende Kurbelwellen. Da sind die Vibrationen besonders zu spüren. Ein Motorrad, das ist für mich Technik, die man sieht und hört, die man verstehen kann. Für mich ist das mehr, als das bisschen Blech, auf das man draufsteigt und losfährt.

Augen auf bei der Berufswahl – hätten Sie auch als Mechaniker oder Ingenieur Karriere machen können?
Zierold:
Letztlich geht es mir schon um die Arbeit mit Menschen. Und um die großen Fragen, die uns bewegen: Was bedeutet Glück? Warum gibt es Leid? Woher komme ich und wo gehe ich hin? Was gibt mir Halt im Leben? Den Berufswunsch, Pfarrer zu werden, hatte ich recht früh. Ich habe mich entschieden, ins Vikariat zu gehen und ordiniert zu werden. Aber ich habe mich natürlich an jeder Weiche, vor jeder nächsten Entscheidung gefragt: Will ich das – oder doch etwas ganz anderes? Die Arbeit eines Pfarrers orientiert sich am Jahreskreis, da gibt es feste Pläne und Veranstaltungen, die sich irgendwann immer wiederholen. Da ist ein Wechsel ganz gut. Damit will ich die Bedeutung von Kontinuität nicht schmälern.

Wandel nehmen Sie als etwas Positives wahr. Angesichts der strukturellen Veränderungen, setzen viele Kirchengemeinden derzeit auf neue, kreative Formate. Braucht es das, um Menschen für den Glauben zu begeistern?
Zierold:
Die Motorradfahrerarbeit ist ein gutes Beispiel. Dieses Format gelingt deshalb, weil es Menschen mit einem gemeinschaftsstiftenden Thema zusammenführt, mit dem sich eine ganz bestimmte Zielgruppe identifizieren kann. Mit diesem Konzept geht Kirche raus zu den Menschen. Die Motorradtreffen können überall stattfinden: bei Motorradmessen, bei den Sternfahrten vom TÜV Thüringen, am Domplatz in Erfurt. Aber es gibt eben auch mit dem zentralen Biker-Gottesdienst einen festen Ort, an dem die Motorradfahrer zusammenkommen können. Das braucht es. Nur so kann Gemeinde überhaupt erst wachsen. Die persönliche Gegenwart ist entscheidend. Wenn die nicht gegeben ist, bleibt der Verbindlichkeitsgrad niedrig.

Vor welchen Herausforderungen stehen die evangelischen Gemeinden in Lettland?
Zierold:
Es gibt in Lettland vier lutherische Kirchen – mit großen theologischen Unterschieden. Die lettisch-lutherische Kirche hat sich in den letzten Jahren mit dem Votum gegen gleichgeschlechtliche Ehen und ihrer Entscheidung, die Frauenordination abzuschaffen, etwas ins Abseits gedrängt. Erstaunlich war, dass die Basis dahinter stand. Aber es gibt im Land ja noch andere lutherische Kirchen. Wer anders denkt, wechselt einfach die Kirche. Einige Gemeinden sind komplett ausgetreten. Das ist etwas, was man sich in Deutschland nicht vorstellen kann, weil unsere Kirche anders organisiert ist. Dort ist das möglich aufgrund der juristischen Grundlage nach lettischem Recht.
Das besondere an der Situation der lutherischen Christen ist, dass sie seit der Zeit der Sowjetunion, und zum Teil noch heute, in einem Gefühl der Diaspora leben. Vor der Oktoberrevolution waren sie die zweitstärkste Konfession im Russischen Zarenreich, weil es sehr viele Deutsche gab. Heute verstehen sich die Lutherischen als eine Konfession unter anderen. Das fordert heraus, sich konkret zu fragen: Warum bin ich eigentlich evangelisch-lutherisch? Gerade in einer Stadt wie Riga, wo es noch fünf, sechs Kirchen neben der eigenen gibt, muss man klarer bekennen, warum man gerade dieser Gemeinde angehört, in eben diese Kirche geht.

Wie beantworten die Christen Ihrer künftigen Gemeinde diese Frage?
Zierold:
Mit Tradition und Sprache. Die Menschen bekennen sich unter anderem zur evangelisch-lutherischen Kirche, weil es die Familie seit Generationen tut oder ganz einfach weil man deutsch spricht. Die Gemeinden sind, was die Mitgliederzahl betrifft, oft sehr klein. Aber sie stellen sich diese Frage nach der Zugehörigkeit mit einer größeren Intensität.

Riga wurde im zwölften Jahrhundert von Deutschen gegründet. Die Stadt ist religös sehr vielfältig. Neben der Evangelisch-Lutherischen, der Katholischen und der Russisch- bzw. Lettisch-orthodoxen Kirche gibt es auch eine Armenisch-apostolische Gemeinde. Wie gestaltet sich Ökumene in Riga?
Zierold:
Genau kann ich das noch nicht sagen. Aber aus meiner Erfahrung in Petersburg weiß ich: Es besteht die Gefahr, dass jeder bei sich bleibt. Das hat dort auch mit der Stärke der orthodoxen Kirche zu tun, die sehr auf sich selbst bezogen ist. Was den Kirchen im Allgemeinen zu schaffen macht, ist der Verlust der Deutungshoheit in Glaubensfragen.Die Menschen entscheiden heute selbst, was richtig und falsch ist. Gerade für die Orthodoxen ist das ein großes Problem. Da ist man gefordert, sich für Ökumene zu öffnen. Und natürlich gilt auch hier, dass, dort wo eine persönliche Beziehung entsteht, auch Ökumene funktioniert.

Welche Erfahrungen aus Jena packen Sie in Ihren Reisekoffer? Was werden Sie vermissen?
Zierold:
Vermissen werde ich einiges. Vor allem aber auch die Junge Gemeinde, die ich hier wieder mit aufgebaut habe. Die Jugendlichen entwickeln zur Zeit eine Flügelaktivität, das ist schön zu sehen. Dass ich in Zukunft nicht mehr da sein werde, hat ihnen einen Verantwortungsschub gegeben, ihnen zu mehr Selbstständigkeit verholfen.
In der Gemeinde in Zwätzen gibt es überhaupt ein großes ehrenamtliches Engagement. Ich hätte in den Jahren hier bestimmte Verantwortungspositionen und Kontrollfunktionen stärker ausüben können. Aber ich habe mich bewusst ein Stück zurückgezogen und vieles verteilt. Und es funktioniert. Die Gemeinde schaut sehr gelassen auf die Vakanz. Möglich, dass es etwas, was es vorher gab, vielleicht nicht mehr geben wird, aber nur so kann Neues entstehen. Es muss auch nicht immer alles gleich bleiben.

Autor:

Beatrix Heinrichs

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