Anzeige

Jacques Berthier
Hymnen wie ein Pilzgericht

Versöhnungskirche: Hier ist der Klang Berthiers zu Hause. Für die Gemeinschaft komponierte er 284 Gesänge. Sein wichtigstes Stilmittel war das Ostinato, bei dem sich eine Melodie oder ein Rhythmus ständig wiederholen. | Foto: Foto: kna-bild/Katharina Gebauer
2Bilder
  • Versöhnungskirche: Hier ist der Klang Berthiers zu Hause. Für die Gemeinschaft komponierte er 284 Gesänge. Sein wichtigstes Stilmittel war das Ostinato, bei dem sich eine Melodie oder ein Rhythmus ständig wiederholen.
  • Foto: Foto: kna-bild/Katharina Gebauer
  • hochgeladen von Beatrix Heinrichs

Taizé: Damit verbinden viele Christen vor allem die berühmten Gesänge der 70er-Jahre. Viele von ihnen stammen aus der Feder von Jacques Berthier – der sich selbst zurücknahm, um etwas ganz Eigenes zu schaffen.

Von Alexander Brüggemann

Ist es seine Herkunft aus dem burgundischen Auxerre, die Jacques Berthiers Musik so gut zu Taizé passen ließ? Vor allem war es wohl seine Bereitschaft, als Komponist auf die große Geste zu verzichten und stattdessen einfache, eingängige Melodien im Dienst von Liturgie und Gebet zu schaffen. Die Gesänge der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé in Burgund haben seit den 1970er-Jahren Kirchengeschichte geschrieben. Ihr Schöpfer war nicht allein Jacques Berthier. Doch vor allem mit seinem Namen sind Gesänge wie "Bleibet hier und wachet mit mir" oder "Laudate omnes gentes" verbunden.

Zu katholisch

Geboren am 27. Juni 1923, vor 100 Jah-ren, wurde ihm die Kirchenmusik buchstäblich in die Wiege gelegt. Vater und Mutter waren in Auxerre selbst Organisten und Chorleiter; Jacques’ Kinderbett stand an der Wand neben dem Musikzimmer des Vaters. Hoch oben auf der Orgelempore und zwischen Kirchenchören wuchs der Junge auf; und er heiratete in eine Kirchenmusikerfamilie. Bei seinem Schwiegervater studierte er nach dem Krieg und wurde 1953 (unbezahlter) Organist an der Bischofskirche von Auxerre. Und obwohl er Mitte der 50er-Jahre das Kurzwarengeschäft seines Onkels übernehmen musste, wollte Berthier doch immer seiner eigentlichen Profession nachgehen.
Eine Chance kam, als ihn 1955 der Jesuit und Psalmenexperte Joseph Gelineau (1920–2008) um Antiphonen bat – Berthiers erste Auftragskomposition und Veröffentlichung. Gelineau stand auch in Kontakt zur noch jungen Gemeinschaft von Taizé, die schon damals mit dem Wunsch einfacher Kompositionen auf Berthier zuging. Doch der war einfach zu katholisch, so berichtete er später selbst amüsiert. Es wäre ihm damals schlicht noch nicht in den Sinn gekommen, für eine protestantische, wenn auch höchst ökumenisch gesinnte Gemeinschaft zu arbeiten. So fragte er bei seinem Erzbischof um Erlaubnis an, der ihm antwortete: "Zögern Sie nicht, das ist sehr gut!"

Komposition am Telefon

Die eigentliche Geburtsstunde der "Gesänge von Taizé" war das "Konzil der Jugend" im Sommer 1974. Die Gemeinschaft stellte fest, dass der gemeinsame Gesang von Tausenden Jugendlichen aus vielen Ländern nicht gut funktionierte. Jede Nation brachte zwar ihre Gesangstradition und ihre geistlichen Lieblingsstücke mit – doch die Jugendlichen aus anderen Ländern mussten wegen fehlender Kenntnisse von Sprache oder Melodie meist stumm danebensitzen. Auch Übersetzungen klappten nicht gut.
Es brauchte also gemeinsame Lieder für eine betende, internationale Jugend der 70er-Jahre. Und so war Eile beim Komponieren geboten. Wichtigster Partner Berthiers dabei wurde der Taizé-Bruder und Arzt Frère Robert Giscard (1923–1993), eins der ersten sieben Mitglieder der Kommunität und Cousin des früheren französischen Staatspräsidenten Valery Giscard d’Estaing. "Einige Kanons wurden sogar telefonisch diktiert", erinnerte sich Berthier.
Sein wichtigstes Stilmittel für die Taizé-Gesänge: das Ostinato, eine sich stetig wiederholende Melodie oder ein sich wiederholender Rhythmus, zunächst immer mit lateinischem Text. Dazu wurden in der Oberstimme Soli in einer oder mehreren lebendigen Sprachen gestellt.
Berthier komponierte für Taizé 284 Gesänge. Für andere Gemeinschaften schuf er Hymnen, Psalmen, Antiphonen und Responsorien, so für die Zisterzienser von Citeaux oder für den Papstbesuch 1986 – insgesamt rund 1200 Titel.
Immer blieb er der Komponist des Einfachen. "Ich bin sehr auf die Liturgie ausgerichtet", sagte er am Ende seines Lebens. "Ich weiß nicht, wozu das nützen sollte, Konzertstücke für meine Organistenkollegen zu schreiben, die davon schon eine Menge haben."

Oft enttäuscht

Berthier kritisierte die Kompliziertheit zeitgenössischer liturgischer Musik. Wie sein Vater sammelte auch er auf dem Land Volkslieder mit eingängigen Melodien und schrieb sie auf. Das trug Früchte: "Einmal sagte ein Mönch zu mir, dass manche meiner Hymnen nach Pilzen schmecken."
Gleichwohl räumte der anspruchsvolle Ästhet ein, dass er oft enttäuscht und traurig war, wenn er seine Lieder gesungen hörte: "Bisweilen höre ich schreckliche Gesänge; aber ich sehe, dass die Menschen beten. Also sage ich mir, dass es vielleicht nicht so schlecht ist." Jacques Berthier starb am 27. Juni 1994, in der Nacht zu seinem 71. Geburtstag, in Paris.

(kna)

Die Komponisten von Taizé

Die Gesänge der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé in Burgund haben seit den 70er-Jahren weite Verbreitung in der Kirchenmusik gefunden. Ihr Schöpfer war nicht allein der prominenteste von ihnen, Jacques Berthier (1923–1994). Er hatte mindestens zwei Mitstreiter. Joseph Gelineau (1920–2008) trat 1941 in den Jesuitenorden ein. Er studierte Theologie, Komposition und Orgel in Lyon und Paris. Sein theologisches Spezialgebiet waren Psalmen in der spätantiken syrischen Tradition. Wichtiger Partner Berthiers war zudem der Taizé-Bruder und Arzt Frère Robert Giscard (1923–1993), Cousin von Frankreichs früherem Staatspräsidenten Valery Giscard d’Estaing. Er war eines der ersten sieben Mitglieder der Gemeinschaft. Als Medizinstudent kam er Ostern 1948 erstmals nach Taizé, wirkte dort zunächst als Arzt; später kümmerte er sich um die Kirchenmusik. Gemeinsam mit Berthier entwickelte er die "Gesänge aus Taizé". "Einige Kanons wurden sogar telefonisch diktiert", erinnerte sich Berthier später. 

Versöhnungskirche: Hier ist der Klang Berthiers zu Hause. Für die Gemeinschaft komponierte er 284 Gesänge. Sein wichtigstes Stilmittel war das Ostinato, bei dem sich eine Melodie oder ein Rhythmus ständig wiederholen. | Foto: Foto: kna-bild/Katharina Gebauer
Autor:

Online-Redaktion

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

35 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Anzeige

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.